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Szene aus "Third Generation - Next Generation"

© Ute Langkafel

Maxim Gorki Theater: Zum Verzweifeln genau

In den Fängen der Erinnerungskultur: Regisseurin Yael Ronen mit „Third Generation – Next Generation“ am Maxim Gorki Theater.

Irgendwie verdruckst, aber gleichzeitig mit einem eigentümlich robusten Selbstbewusstsein gesegnet tritt Schauspieler Niels Bormann an die Rampe des Berliner Maxim Gorki Theaters. „Ich möchte mich entschuldigen!“, kumpelt er sich ans Publikum heran. Und zwar dafür, „dass hier heute ein Stück mit Israelis, Palästinensern und Deutschen stattfindet, das wir schon vor zehn Jahren gemacht haben“. Großes Hallo im Parkett, während Bormann seine Betroffenheitsmiene noch mal profimäßig nachjustiert. Tatsächlich stand der Schauspieler haargenau so – als grandioser „Sorry“-Trottel – 2009 schon mal an der Rampe, damals in der Schaubühne. Und führte das Stereotyp des hochnotpeinlichen Deutschen vor, der sich permanent entschuldigt, dabei keinen Fettnapf auslässt und im Freud’schen Fehlleistungsmodus unablässig Rassismen offenbart. „Bei dir möchte ich mich dafür entschuldigen, was deinem Großvater in Sachsenhausen passiert ist“, hatte sich Bormann vor zehn Jahren an einen Bühnenkollegen aus Israel gewandt. „Der ist dort im elektrischen Zaun zu Tode gekommen. Sorry!“ Peinigendste Fremdscham- Motive, die der Schauspieler jetzt nahtlos wieder aufnimmt.

„Dritte Generation“ hieß die Schaubühnen-Koproduktion mit dem Habima- Theater Tel Aviv damals: ein beispiellos tabubrechender Abend, der hitzige Debatten anstieß und schließlich ein Riesenerfolg wurde. Die in Jerusalem geborene Regisseurin Yael Ronen, damals Anfang 30, hatte die Enkel der Täter und der Opfer des Holocaust auf der Bühne zusammengebracht; die dritte Generation eben nach der Schoah, der Gründung des Staates Israel und dem Palästinakrieg. In einer künstlerischen Gruppentherapie-Sitzung, die damals völlig neu war fürs Theater, hauten sich die Thirtysomethings mit tiefschwarzem Humor und ohne Rücksicht auf Schmerzgrenzen historische Traumata, Schuldfragen und Ressentiments um die Ohren.

Ronen will die Konfliktlinien neu vermessen

Jetzt, fast auf den Tag genau ein Jahrzehnt später, will Yael Ronen die Konfliktlinien neu vermessen und hat unter dem Motto „Third Generation – Next Generation“ ein Sequel inszeniert. Nicht an der Schaubühne, sondern eben am Gorki, das mit seinem jetzigen Profil als postmigrantisches Theater seinerzeit ja noch gar nicht existierte. Rein dramatisch betrachtet hat sich überhaupt einiges getan: Ronen ist inzwischen zu einer der gefragtesten Regisseurinnen avanciert mit ihrer Stückentwicklungsmethode. Sie reichert eigene Erfahrungen und biografische Hintergründe von Spielern und Spielerinnen mit Stereotypen aus dem kollektiven Bewusstsein an und lässt sie auf der Bühne in einem derart heilsamen Screwball-Comedy- Humor kollidieren, dass am Ende nichts mehr übrig ist von verständigungsausbremsenden Verkrustungen. Auch Niels Bormann hat mittlerweile seine Paraderolle des unsensibel-übergriffigen Germansplainers in zig Ronen-Produktionen perfektioniert. Nur eines hat sich offenkundig nicht geändert, jedenfalls nicht zum Positiven: die Weltlage selbst, von der sich Yael Ronens Abende abstoßen.

Betrachtet man die zehn Akteure, die in roten T-Shirts mit dem Stücktitel-Kürzel „3G NG“ in einer Art Therapie-Stuhlkreis auf der Bühne sitzen, scheinen sich die Fronten vielmehr weiter verhärtet zu haben. Verbal jedenfalls ist diese Mischung aus Künstlerinnen mit israelischen, palästinensischen und deutschen Hintergründen sowie aus Veteranen, die bereits vor zehn Jahren dabei waren, und neu Hinzugekommenen jederzeit hochgradig eskalationsbereit. Bormann und sein israelischer Kollege Michael Ronen, Bruder der Regisseurin, die sich als reisebereites Paar über dem Urlaubsgepäck in die Haare kriegen, brauchen keine drei Sätze von der Reisetasche zum Nahostkonflikt, von Individuen zu unfreiwilligen Geschichtsrepräsentanten: Du denkst, dass es okay ist, Palästinenser zu töten, und machst mich hier zum Nazi, wirft der eine dem anderen im suggestiven Unterstellungsmodus an den Kopf. Dabei hatte die israelische Akteurin Orit Nahmias, die wie Ronen selbst inzwischen in Berlin lebt und fest zum Gorki-Ensemble gehört, bereits vor zehn Jahren in einem bahnbrechenden Monolog vor hinkenden Vergleichen und den daraus resultierenden Relativierungen gewarnt. „Es gibt genügend Ungerechtigkeit und Genozide für alle“, kann sie heute nur noch einmal sarkastisch bekräftigen.

Verbales Ping-Pong und süßlicher Teenie-Pop

In explosivstem Verbal-Pingpong gerät man ausweglos über Fakten und Sprachregelungen aneinander. Mit süßlichem Teenie-Gitarrenpop wird die Verkrustung von Erinnerungskultur vorgeführt, bis Oscar Olivo als „amerikanischer Mediator“ mit Trump-Anleihen auftritt und – Daumen runter für Fakten, ein Hoch auf Fake und Fantasy – eine supereasy „Zweistaatenlösung“ aus dem Aktenkoffer zaubert. Da wird es Schauspieler Dimitrij Schaad, der schon seit geraumer Zeit mit zusehends versteinertem Gesicht abseits saß, endgültig zu viel. Der zu Sowjetzeiten in Kasachstan geborene Gorki-Star, dessen luzide Monologe inzwischen zu Recht Kultstatus genießen, holt zu einem grandiosen Finale aus, das schwindelerregende Haken schlägt zwischen Rechts- und Linksschablonen, Populismus, zusehends selbstbewusstem Nationalismus. Und das den Status quo, in dem sich diese
„nächste Generation“ der „Dritten Generation“ wiederfindet, geradezu deprimierend klarsichtig auf den Punkt bringt. Was im Ronen-Kosmos heißt: zum Totlachen präzise, zum Verzweifeln genau.

Weitere Vorstellungen 28. 4. bis 1. 5.

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