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Mann vieler Begabungen. Barrie Kosky, Regisseur und Intendant.

© Jan Windszus

Komische Oper: Mazel tov, Mame!

Jiddischer Liederabend: Intendant Barrie Kosky setzt sich in der Komischen Oper höchstselbst ans Klavier.

Stürmische Zeiten an der Komischen Oper: Erst muss die Premiere von Offenbachs „Blaubart“ verschoben werden, weil sich Stefan Herheim mal wieder einen so komplizierten sozialgeschichtlichen Überbau für seine Inszenierung ausgedacht hat, dass er alle Probezeiten reißt. Dann gibt Laura Scozzi, die am 12. Mai mit Händels „Semele“ in der Behrenstraße debütieren sollte, krankheitsbedingt die Regie ab, so dass Intendant Barrie Kosky kurzfristig einspringen muss, um die Produktion zu retten. Und schließlich platzt auch noch das charmante Experiment, das sich der Hausherr im Bereich der U-Musik-Pflege ausgedacht hatte: Mit der Sängerin Anne-Sophie von Otter, dem Schauspieler Wolfram Koch und dem Musical-Professor Adam Benzwi wollte sich Kosky einschließen, um aus Schlagern von Peter Kreuder und Theo Mackeben aber auch Songs von Weill, Eisler und Dessau einen Abend unter dem Motto „Ich wollt’, ich wär ein Huhn“ zu kreieren.

Nachdem sich ihr Ehemann das Leben genommen hatte, fiel Anne-Sophie von Otter verständlicherweise aus. Am Tag der geplanten Uraufführung konnte eine „Anatevka“-Zusatzvorstellung organisiert werden, für die beiden Folgetermine engagierte sich der Intendant kurzerhand selber: als Pianist bei einem Abend mit jiddischen Liedern. Denn Barrie Kosky ist, zusätzlich zu all seinen Begabungen, auch noch ein hervorragender Klavierspieler, einer, der mit der rechten Hand singen kann, während die linke mitreißend den Rhythmus vorgibt. Und er erhebt am Samstag sogar die Stimme, bringt seinem Liebsten, der im Publikum sitzt, ein Ständchen, indem er Abraham Ellsteins „Meydele“ (Mädchen) kurzerhand zum „Jingele“ geschlechtsumwandelt.

Operettenmelodien vom jiddischen Broadway

Alma Sadé und Helene Schneiderman sind Koskys Partnerinnen bei diesem Liederabend auf dem abgedeckten Orchestergraben der Komischen Oper, und sie widmen sich mit Chuzpe den Operettenmelodien vom jiddischen Broadway, der an der 2nd Avenue in New York lag und seine Glanzzeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte. Fast 2,5 Millionen osteuropäische Juden waren zwischen 1884 und 1925 vor den zaristischen, später kommunistischen Pogromen in die USA geflüchtet, unter ihnen viele Künstler, die in der neuen Welt dann Wesentliches zur Entwicklung der uramerikanischen Genres Musical und Film-Soundtrack beitragen sollten. So manches, was Kosky und seine beiden Interpretinnen präsentieren, war hörbar Vorbild für die Songs von Rogers & Hammerstein, Walzer, Tango und Quickstep bilden die Grundlage der Vaudeville- Nummern, die harmonisch allerdings durchweg interessanter komponiert sind als die US-Durchschnittsware der Zeit. Weil ihre Schöpfer eben eine europäisch-akademische Ausbildung genossen hatten.

So wie Alexander Olshanetzky, der seine Karriere als Geiger an der Oper in Odessa begann, dann Kapellmeister in der russischen Armee wurde und über China, wo er bereits bei einer jiddischen Theatertruppe arbeitete, 1922 nach New York kam. Aus seiner Operette „Der letzte Tänzer“ hat Kosky „Glik“ ausgewählt, weil es das unablässige Schwanken zwischen „Die Welt ist fantastisch!“ und „Die Welt ist furchtbar!“ zeigt, das so charakteristisch ist für die jiddischen Stücke: „Glück, nun bist du zu mir gekommen“, singt Helene Schneiderman, „nur halt a bissl spät“. Die ganze Lebenserfahrung einer reifen Frau schwingt hier mit, fein gearbeitet sind die textlichen Nuancierungen, die Gestik wirkt spontan, doch nie willkürlich.

Mit großer Geste direkt ins Zuhörerherz

Die amerikanische Mezzosopranistin ist eine auratische Interpretin – und darum natürlich auch eine tolle Mame. Der Familienzusammenhalterin war in den Operetten stets der sentimentale Höhepunkt im 2. Akt vorbehalten, so wie beim Stück, das dem Abend seinen Titel gegeben hat, „Farges mikh nit“ (Frag mich nicht) aus Abraham Ellsteins 1937 uraufgeführter „Malka, die Rabbinertochter“, das Helene Schneiderman mit großer Geste direkt ins Zuhörerherz schickt.

Alma Sadé ist für die leichteren Nummern zuständig, gibt auf bezaubernde Weise die junge Naive, wenn sie in der Nummer „Yid’l mit’n Fid’l“ jubiliert „Das Leben is a Lidl“. Virtuos ist die Licht- Schatten-Dramaturgie des Abends, ganz schnell kann Rührung in Bedrückung umkippen, wenn zum offiziellen Ende im zarten Duett „Rozhinkes mit mandl’n“ erklingt, ein einstmals enorm populäres Wiegenlied aus der Feder des Genregründers Abraham Goldfaden, das, so erzählt der Intendant vom Flügel aus, natürlich auch in den Lagern der Nazis so manche Mutter ihren Kindern vorgesungen hat. Da wird es im Saal ganz still. Doch weil in den jiddischen Operetten schlussendlich immer die Hoffnung überwiegt, folgt als Rausschmeißer eine wild wirbelnde Parodie auf das vermeintlich süße jüdische Leben im alten Europa: „Hei, digi, digi dam!“.

Komische Oper, noch einmal am 9. Mai, 20 Uhr

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