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Kultur: Meerestiere im Gewächshaus

„Einstein on the Beach“: eine begehbare Oper von Philip Glass und Robert Wilson in der Parochialkirche

Albert Einstein hat es nicht leicht in diesem Jahr. Sieht sich der – bekanntlich in seiner Freizeit der Geige zugewandte – Forscher postum doch mit allerlei multimedialen Versuchen konfrontiert, seinen Geist in sinnenfroher Weise unters Volk zu bringen. Nachdem uns eine Show Unter den Linden in einem eigens dafür aufgebauten Zelt die Relativitätstheorie nicht wirklich nahe bringen konnte, scheitert nun auch das „Staatsbankberlin“-Projekt in den Abgründen zwischen Naturwissenschaft und Kunst – auf beachtlichem ästhetischen Niveau.

„Einstein on the Beach“, eine Oper über die Zeit von Philip Glass und Robert Wilson, bietet zunächst einmal typische Minimal-Music: Vier Stunden legt Glass rhythmische Figurationen übereinander, variiert dabei wenige klar erkennbare harmonische Felder in unbeirrbarer Konsequenz. Das Publikum in der Parochialkirche teilt sich angesichts dieser absichtlich absichtslosen Musik schnell in drei Fraktionen: Einige wippen zaghaft mit den Füßen, andere schließen in Trance die Augen. Die meisten jedoch beginnen einfach ein Schwätzchen. Nach zwei Stunden hat dann jeder schon mal vor der Kirche Luft geschnappt – diese Operninstallation ist nicht nur begehbar, man kann ihr auch entgehen. Allmählich wird dann aber doch deutlich, dass die Musik Zeit braucht, um zu wirken.

Sieben Musiker und zwölf Sänger unter der Leitung von Ari Benjamin Meyers erbringen eine Konzentrationsleistung, die sich mit zunehmender Dauer auf die Hörer überträgt. Andererseits entfalten sich doch überraschende poetische Momente, etwa, wenn die Geigerin nach endlosen gleichförmigen Ensemblepassagen plötzlich alleine spielt und nun nicht mehr dem strengen Rhythmusimpuls der Tonbandspur unterworfen ist.

Keine Frage, diese Musik kann Suggestionskraft entwickeln. Dafür sorgt auch die Umgebung, die verschiedene Künstler in der Parochialkirche schaffen: Die „soft sculptures“ von Frauke Wilken gliedern den Raum mit ihren weich texturierten Anspielungen auf Organisches. Reiner Maria Matysiks Skulpturen sehen aus wie obskur verwachsene Meerestiere. Es gibt Videoinstallationen, ein Gewächshaus. Alles ist professionell hergerichtet und erzeugt eine Atmosphäre allgemeinen Wohlgefallens. Nur fragt man sich, was das mit Einstein zu tun hat und sucht Rat in den gereichten Texten. Da ist dann von naturwissenschaftlich-künstlerischen Dialogen die Rede, der Reflexion aktueller Körperdiskurse. Vielleicht ist diese Aufführung doch eher eine Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Subventionskultur: Geldgebern wie dem Hauptstadtkulturfonds sind mit dieser Mischung aus historischem Datum (Einstein), Multimedia-Installation und interdisziplinärem Gedankengut einfach am besten Fördermittel zu entlocken.

Wieder heute sowie am 27., 29. und 30. Juli und am 1., 2., 4., 5. August

Ulrich Pollmann

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