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Kultur: Mehr Drama, Baby!

Die Lange Nacht der Autoren im DT.

Der beste Satz des Abends: „Guck’ doch nicht so suizidgefährdet!“ Herausgeschmettert von Isabel Schosnig, die als exaltierte Mutter und überkandidelte Klangtherapeutin Frau Dr. Heissa gerade über ein lustiges Matratzenlager tollt und sich in ihrer Ausgelassenheit von ihrer depressiven Tochter eingeschränkt fühlt. Tochter Lila (Varia Linéa Sjöström) hängt wie ein Schluck Wasser in der Kurve, seitdem sich ihr Nachhilfeschüler Kid (Thorsten Hierse) umgebracht hat. Dieser sitzt als therapeutischer Geist am Rand des Matratzenlagers und beobachtet, wie die Überlebenden sich mit den Folgen seines Selbstmordes abkämpfen.

Sein Vater ist völlig durchgeknallt. Nennt sich Billy Karacho (Thomas Schmidt), hat eine Glücksagentur gegründet und versucht, sein eigenes Leiden zu vergessen, indem er durch geheime Interventionen andere Verzweifelte auf den Pfad der Zufriedenheit zurückführt. Klappt aber nicht. Lila ist so mit sich selbst beschäftigt, dass sie den Schwerverletzten gar übersieht, den die Glücksagentur ihr auf den Weg legt, damit sie durch dessen Rettung ihr Schuldgefühl überwindet.

Wenn „Exzess, mein Liebling“ von Olivia Wenzel man kein klassisches Familienaufstellungsdrama ist! Dabei suchte die diesjährige Jurorin der Autorentheatertage Sigrid Löffler, die für diese Aufgabe ihren schon lange währenden Theaterüberdruss überwand, gerade nicht nach Familiendramen, sondern nach Welthaltigkeit und hatte der Ausschreibung als Losung „Das Weite suchen“ mitgegeben. Aber Suchen und Finden sind zweierlei. 87 Stücke wurden eingeschickt.

Über die drei ausgewählten, die das Deutsche Theater während der Langen Nacht der Autoren zum Abschluss der Autorentheatertage in Werkstattinszenierungen zeigt, kann man sich freilich wundern. Das Stück von Olivia Wenzel (1985 geboren) bietet zwar sympathische Figuren, bleibt aber konventionell und kann sich nicht entscheiden, ob es sich über den Esoterik-Kult lustig macht oder doch an die Wirksamkeit heilsamer Rituale glaubt.

In einem Interview bekannte Sigrid Löffler, dass ihr zeitgenössisches Theater vor allem wegen selbstherrlicher Regisseure auf den Zeiger gehe. Da muss sie sich bei der Darbietung von „Die Schwäne des Kapitalismus“ von Matthias Neukirch (1977 geboren) die Augen gerieben haben. Das Stück spielt auf zwei Ebenen die Bedeutungen des Wortes „Wert“ durch. Während eine junge WG-Bewohnerin in einer Bank anheuert, um Einblicke in die Finanzindustrie zu gewinnen, wird ein lose mit ihr verbandelter Mann auf einem Schiff vor der Somalischen Küste von Piraten entführt. „Wie viel mag die Reederei in Hamburg für die Freilassung der Crew bezahlen, wie viel ist mein Leben wert?“, fragt er sich.

Der Text ist mit Foucault- und Marx-Zitaten beschwert und besteht zu guten Teilen aus öden Wirtschaftstheorien. Trotzdem: Was sich Regisseur Martin Laberenz erlaubt, geht nicht. Er macht sich über die Vorlage lustig, schlachtet das Stück vor seiner Uraufführung und lässt den Kadaver von amüsiergierigen Schauspielern genüsslich zerfetzen. Er nutzt die große Bühne als Schaufenster, um sich bei angereisten Intendanten als Regisseur in Stellung zu bringen – als epigonale Kreuzung aus Castorf, Pollesch und Harald Schmidt. Das Ergebnis: dümmliche Theaterwitze, halblustige Auftritte über eine Showtreppe und die Erklärung von Wirtschaftszusammenhänge via Videowand mit Playmobil wie in einer Schmidt-Show.

Bleibt das dritte Stück – „Die Schweizer Krankheit“ von Uta Bierbaum (1980 geboren): drei Figuren auf der Suche nach Heimat. Eine Schauspielerin stalkt ihrer Ex-Freundin hinterher, ein Taxifahrer mit Mutterkomplex schlägt sich mit seinen Fahrgästen herum, ein junges Mädchen, das nicht mehr isst, um ihrem depressiven Freund auf diese Weise nahezukommen. Die wohltemperierte Traurigkeit gipfelt in einem aufgedonnerten Gewaltausbruch, von Sewan Latchinian konzentriert in Szene gesetzt. Man möchte dem zarten Kammerstück gar nicht erst den Anspruch der Jurorin auf die Schultern wuchten. Warum sollen auch die Jungen einen Glauben wieder entfachen, der von den Älteren über Jahrzehnte verspielt wurde? Andreas Schäfer

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