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SCHREIB Waren: Mehr Meer!

Berlin kam für ihn als Reiseziel nicht infrage. „Groß ist es, aber was bringt das“, erklärt Andrzej Stasiuk in seinem Reiseessay für die von Katharina Raabe und Monika Sznajderman herausgegebene Anthologie Odessa Transfer im Suhrkamp Verlag.

Von Gregor Dotzauer

Berlin kam für ihn als Reiseziel nicht infrage. „Groß ist es, aber was bringt das“, erklärt Andrzej Stasiuk in seinem Reiseessay für die von Katharina Raabe und Monika Sznajderman herausgegebene Anthologie Odessa Transfer im Suhrkamp Verlag. „Seine Mutter ist die Melancholie, seine Tante die Neurose der Modernität.“ Oder auch Paris: „Wer fährt heute noch nach Paris?“ Wenn man, von einer Wallung unbezwingbaren Fernwehs getrieben, aus den polnischen Beskiden in die bulgarische Haupstadt Sofia gespült wird und Verheißungsvolleres erwartet, als in einem Hotel abzustürzen, das auf drei bis vier Kanälen Pornos bietet und auf einem weiteren Boxen, dann gehört Istanbul zur ersten Wahl.

Was war geschehen?, „Eines Tages“, erinnert sich Stasiuk, „hatten wir etwas getrunken und beschlossen, auf einen anderen Kontinent zu fahren. Einfach einsteigen, losfahren und dann schauen, wie sich die Landschaft verändert und der rote Zeiger der Benzinuhr langsam sinkt. Am nächsten war es nach Asien. Am nächsten war es an dieses kleine, vom restlichen Wasser der Welt abgeschnittene Meer.“ Dort, am Schwarzen Meer, tummeln sich auch die anderen zwölf Beiträger der Anthologie, die die Landschaftsvermessungen des „Last & Lost“-Projekts von vor drei Jahren beerbt. Und jeder durchquert ein anderes Gebiet. Die junge Moldawierin Nicoleta Esinencu bricht aus ihrer Hauptstadt Chisinau zum titelgebenden „Odessa Transfer“ auf, der ukrainische Schriftsteller bereist „Postsowjetische Paradiese“ an der Krimküste. Katja Petrowskaja macht sich vom russischen Krasnodar in den Kurort Sotschi auf, in dem 2014 die olympischen Winterspiele stattfinden, und Sibylle Lewitscharoff setzt ihre bulgarische Spurensuche fort, indem sie eine „Insel der Glücklichen“ zwischen Burgas und Varna ansteuert.

Von welchem Teil Europas man aber auch auf das Schwarze Meer sieht, es geht um „Neue Ufer“ – und darum, wie sie sich in die geistige Geografie Europas fügen. In der Literaturwerkstatt beginnt am Mittwoch um 20 Uhr nun rund um das Buch ein kleines Festival, das anschließend in München, Leipzig, Hamburg, Dresden und schließlich Frankfurt am Main haltmacht. Katharina Raabe begibt sich mit Katja Lange-Müller, Katja Petrowskaja und Serhij Zhadan zunächst nach Sotschi. Tags darauf, am Donnerstag, verlagern sich Lesung und Gespräche ins Literarische Colloquium am Wannsee, wo um 15, 17 und 20 Uhr unter anderem über „Das ungastliche Meer“ und die Frage, „wo Russland plötzlich abbricht”, diskutiert wird.

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