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Michael Maertens spielt den irischen Autor Mark O’Connell.

© Marcella Ruiz Cruz

Online-Premiere am Burgtheater: Mein Leben ohne Körper

Michael Maertens’ Online-Solo „Die Maschine in mir (Version 1.0)“ in der Inszenierung von Ben Kidd und Bush Moukarzel im Kasino des Wiener Burgtheaters.

Vielleicht sollten wir im Verhältnis von Mensch und Computer die Begrifflichkeiten ändern: Statt unsere Daten in die Cloud „hochzuladen“, könnten wir sie, wie früher einmal üblich, „ablegen“: In den Aktenordner, der, wie alle Datensammlungen der Vergangenheit, meistens eines Tages unten im Keller verschwindet, da, wo die Spinnweben sind und der Staub.

Es wird also derzeit davon ausgegangen, dass unsere Daten oben im digitalen Himmel landen, während wir mit unseren fehlerhaften Körpern hier unten bleiben müssen. Das viel beschworene transhumanistische Zeitalter ist also eine sehr zweifelhafte Verheißung. Denn Mensch und Maschine begegnen sich nicht auf Augenhöhe.

Das Publikum besteht aus lauter kleinen Bildschirmen

Vor allem unter dem blauen Himmel Kaliforniens träumen Programmierer, Manager und andere Digitalnerds davon, dass die Menschen ihre Seele eines Tages in einen Supercomputer uploaden können, um dann ewig zu leben. Aber schon unsere derzeitige Vorstellung vom Oben und Unten der Daten und der darin ausgedrückten Hierarchie des Maschine-Mensch-Verhältnisses trägt den Stempel eines alten religiösen Vorbilds. Ist das vernünftig?

Angesichts solcher Verhältnisse begrüßt uns Michael Maertens im Kasino des Wiener Burgtheaters mit tief besorgter, fast schon gramverzerrter Mine für sein Online-Solo über die Frage von Sein und Schein im digitalen Raum. Diesmal sitzen wir nicht nur am Computer, sondern sind alle zugleich auch wirklich im Theater.

Denn in der Vorbereitung auf die Online-Premiere am Wiener Burgtheater hat jede und jeder im etwa 80-köpfigen Publikum drei kleine Videos angefertigt: formatfüllende Porträts von sich selbst als betrachtendem, schlafendem, lachendem Theaterzuschauergesicht. Wenn die Theaterkamera während der Aufführung von „Die Maschine in mir (Version 1.0)“ über das Publikum schwenkt, das aus lauter kleinen Bildschirmen besteht, können alle auf die Suche nach dem eigenen Abbild gehen.

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Ist es gefunden, stellt sich Beruhigung ein. Ja, man sitzt diesmal, nach Monaten des Videostreamens, der Online-Premieren und Zoom-Konferenzen, irgendwie wirklich da im Theater, wenn auch nur als digitales Spiegelbild. Aber es ist auch beunruhigend, denn in dieser pfiffig inszenierten technischen Co-Präsenz ist metaphorisch natürlich schon das ganze Elend der transhumanistischen Hoffnung eingefangen, die der Abend zum Thema macht. Menschen sind in dieser Welt zwar noch präsent, aber ohne ihre Körper.

Ben Kidd und Bush Moukarzel hatten das bereits in Dublin inszeniert und richteten es für die deutschsprachige Erstaufführung nun auch in Wien ein.

Ach ja, der Körper. Michael Maertens’ leicht gequälter Gesichtsausdruck ist auch der Tatsache geschuldet, dass er hier den irischen Autor Mark O’Connell verkörpert, der wegen seiner Blasenschwäche Angst vor Theateraufführungen hat. Aber auch der Blick in den Spiegel löst das Gefühl der Entfremdung aus. Es ist der Start für seine Suche nach einem Leben ohne die körperliche Hülle.

Ein großes Tablet bringt neue Bilder in den Raum

O’Connell hatte für sein Buch „Unsterblich Sein“ einige der Protagonisten – Protagonistinnen gibt es bezeichnenderweise nicht – des ewigen Lebens in digitaler Stellvertretung besucht. Programmierer und Hacker Tim Cannon etwa, der sich ein Gerät in den Arm implantieren ließ, um biometrische Daten zu erfassen.

Das ziemlich gruselig aussehende, von entzündeter Haut eingefasste Implantat lässt in Bezug auf sein Biotech-Start-up in Pittsburgh an Frankenstein’sche Labortechnik denken. Dem irischen Autor sagte dieser Tim Cannon am Ende eines Interviews, er fühle sich nicht im falschen Körper gefangen. Jeder Körper sei ein falscher Körper.

Immer wieder wischt Michael Maertens über ein großes Tablet, das auf einer Halterung neben ihm auf der Bühne steht, und holt so neue Bebilderungen auf den Schirm. Einmal sieht man darauf ein immer lauter kreischendes Neugeborenes, das die Vorstellung vom Schmerz untermauern soll, der allem menschlichen Leben anhaftet. Mit neckischer Unachtsamkeit stößt Maertens dann das Tablet und damit dieses doch so kostbare Menschenkind zu Boden und hebt es als ein gesprungenes Spiegelbild wieder auf.

Die Seele ein Code? Das Leben ein Programm?

Eine von vielen Regieideen, mit denen die Irrfahrt durch die nunmehr zunehmend südwestamerikanische Transhumanistenszene fürs Online-Theater aufgepeppt wird. Von Max Mores Alcor Life Extension Foundation ist nun die Rede. Sie betreibt nahe dem kleinen Flughafen von Scottsdale ein Labor, in dem Frischverstorbene ihre Köpfe in Flüssigstickstoff vereisen lassen können in der Hoffnung, dass ihr Gehirn eines Tages mithilfe von Zukunftstechnologien zu neuem Leben erweckt werde.

Das sei, so erklärt Michael Maertens alias Mark O’Connell, deshalb möglich, weil menschliches Leben ohnehin nur eine Algorithmensammlung sei. Der Mensch ein Maschine? Die Seele ein Code? Das Leben ein Programm? Spätestens hier hätte man sich den Einspruch der zeitgenössischen Transhumanismuskritik gewünscht, um dieser kleinen Aufführung einen aktuellen Raum der Kontroverse zu öffnen.

[Wieder vom 6. bis 8. Januar. Weitere Infos hier.]

Statt dessen bleibt Michael Maertens beim durchdringenden Blick in die Kamera, bei pastoraler und etwas getragener Stimme im Sprechen über die Spekulationen eines neuen Mensch-Maschine-Zeitalters. Da darf auch Google-Mastermind Ray Kurzweil nicht fehlen sowie auch die Erwähnung der sumerischen Erzählung von Gilgamesch und dem alten Menschheitstraum der Unsterblichkeit.

Am Ende steht die Erzählung, wie Autor Mark O’Connell und Burgtheaterschauspieler Michael Maertens zueinanderfanden, und wie da beide Männer in der Welt des Digitalen fusionieren zu einem Produkt theatraler Stellvertretung. Das ist alles sehr ansehnlich und im Spiel von digitalem und analogem Sein fürs co-präsente Publikum auch sehr unterhaltend. Da aber dieser Meditation über die neuen Grenzen des Seins die Kritik an Trans- und Posthumanismus fehlt, ist „Die Maschine in mir“ eine etwas unentschiedene Freakshow. Sie wird der Virulenz dieser milliardenschweren Zukunftsprojektionen nicht ganz gerecht.

Eberhard Spreng

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