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Kultur: Mein Traum von Hollywood

Hoffnungen und Hindernisse: Warum musste das große Studio Babelsberg nach der Wende scheitern? / Von Volker Schlöndorff

Es ist schon wieder zehn Jahre her, dass ich nach Babelsberg kam – erst fünf Jahre als Geschäftsführer, dann drei als Berater und noch zwei als Vorsitzender des Europäischen Film Centers Babelsberg. Meine eigentliche Geschichte mit dem Studio begann jedoch vor mehr als 40 Jahren. Damals jobbte ich als Simultanübersetzer bei Lotte Eisner und Henri Langlois an der französischen Cinemathèque in Paris. Ein Mikro in der Hand, saß ich in der 1. Reihe und „synchronisierte“ aus dem Stegreif „Die freudlose Gasse“, „Asphalt“, „Die Nibelungen“, den „Letzten Mann“, den „Kaiser von Kalifornien“ und immer wieder Fritz Langs „M“. So oft, dass ich die Tonspuren heute noch auswendig kann. Oft verschlug es mir buchstäblich die Sprache – so überwältigt war ich von den Darstellern (Greta Garbo, Asta Nielsen, Louise Brooks, Marlene und Peter Lorre) und dieser ganzen Filmkunst im Entstehen. Fast alle diese Filme kamen aus Babelsberg, einem Ort, der mir Mythos wurde.

Der vermessene Ehrgeiz, an diese große Tradition anzuknüpfen, packte mich. Statt in Paris zu bleiben, ging ich zurück nach Westdeutschland, „wo es damals keine Filme gab“, wie ich mit dem Hochmut eines Schülers der Nouvelle Vague frech behauptete.

Jahrzehnte später, längst war ich in den USA, der Traum vom deutschen Film war ausgeträumt, fiel die Mauer. Unter anderem wurden uns durch diesen Zufall der Geschichte die Ex-Ufa-, Ex-Defa-Studios, die über 50 Jahre lang als Staatsbetriebe mitsamt den Strukturen, den Technikern, den handwerklichen Fähigkeiten und ungebrochener Tradition seit der Erfindung des Films überlebt hatten, auf einem Präsentierteller dargeboten.

Europäische Filme von US-Format

Ich glaubte im Augenblick der Wiedervereinigung an die Renaissance des deutschen Films. Inhaltlich, weil durch das Aufeinanderprallen zweier gesellschaftlicher Systeme Stoffe auf uns zukommen mussten, die weit über Deutschland hinaus interessierten. Technisch, weil die schiere Dimension des Studios es ermöglichte, endlich in Deutschland große Filme machen zu können. Nicht dass ich kleine Filme verachte, das ist und war ja mein täglich Brot, aber was uns fehlt, um wirklich eine Filmindustrie aufzubauen – dachte ich damals und glaube ich heute noch –, sind europäische Filme von amerikanischem Format. Filme wie „Harry Potter“ oder „Titanic“, Filme wie „Im n der Rose“ oder „Asterix“, Filme, wie es zu anderen Zeiten „Die Nibelungen“ und „Metropolis“ waren oder die großen historischen Filme bei der Defa.

Die Voraussetzungen schienen zu stimmen: Berlin mit seinen Theatern, Schauspielern, Technikern und kreativen Kräften aus zwei Städten. Dazu die Aufbruchsstimmung und die Spannung zwischen den Menschen, die so verschiedene Leben gelebt hatten – das Ganze in der Mitte Europas. Es war nicht nur ein Traum von Regisseuren, die sich als Manager versuchten. Es war auch der Traum von Detlef Rohwedder, der bei aller Abwicklung der DDR-Wirtschaft zwei Betriebe retten wollte: den Aufbau-Verlag und die Defa-Studios, weil beide für die ostdeutsche Bevölkerung als identitätsstiftend galten.

Leider schien sich aber sonst niemand in Deutschland für Babelsberg zu interessieren. Die bayerische Konkurrenz befand, die Technik sei Schrott, die Gebäude abrissreif, die Legende wertlos. Am besten Bulldozer hinschicken, rieten sie. Die Berliner fürchteten Konkurrenz vor den Toren der Stadt und pflichteten bei. Die Herren aus Nordrhein-Westfalen fuhren wortlos ab und begannen in Köln und Bottrop neue Studios zu bauen.

Ein Jahr lang lag alles brach. Einige Gierige begannen mit dem Ausschlachten, da wurde die Treuhandanstalt doch noch fündig, in Paris. Am 25. August 1992 übernahm der französische Konzern Compagnie Générale des Eaux, seither umgetauft in Vivendi (auch Vivendi-Universal), die Studios und verpflichtete unter anderen mich als Geschäftsführer. So kam ich an den Ort meiner Jugendträume. Die beiden Verantwortlichen und Drahtzieher, Jean-Marc Oury und Peter Fleischmann, wurden als Visionäre und Retter gefeiert. Ein paar Jahre später wurde der eine, nachdem er für den Konzern viele Hunderte Millionen in Babelsberg investiert hatte, gefeuert, der andere als realitätsfremder Träumer verleumdet. Ohne ihren Einsatz hätten die sogenannten Vernünftigen, die einfach alles platt machen wollten, das Sagen gehabt.

Das Studio wurde in der Tat gerettet. Es ist sicher eines der modernsten in Europa. Alle Arbeitsplätze wurden zehn Jahre erhalten. Die Ufa hat sich angesiedelt und „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ mitgebracht. Die Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) wäre ohne das Studio am gleichen Ort wie ein Fisch in einem Becken ohne Wasser, das Gleiche könnte man vom ORB sagen. Viele haben von dem Mut der Franzosen profitiert.

Was haben wir falsch gemacht?

Nur unsere Träume sind nicht wahr geworden. Was mich hierhergebracht hat: die Tradition, das Erbe der Filme der Zwanziger und Dreißiger Jahre – das bleibt Legende. Das gab’s nur damals, das kommt nicht wieder. Es gibt nach wie vor keine deutsche Filmindustrie – es gibt auch keine Erklärung, warum es keine gibt. Die Investition scheint sich nur für die Mitarbeiter des Studios gelohnt zu haben. Kann sich das noch einmal ändern? Was haben wir falsch gemacht?

Wir haben das Umfeld und den deutschen Filmmarkt überhaupt falsch eingeschätzt. Wir waren Optimisten – wie viele, die von außen nach Berlin kamen. Die alten West-Berliner wussten schon immer, dass hier nix läuft. (Nur einige wenige, wie mein Freund Wendlandt, haben dran geglaubt.) Warum sich an große Projekte wagen, wenn man mit Fernsehfilmen und Serien gutes Geld verdienen kann? Zum deutschen Fernsehen aber hatten die neuen französischen Besitzer keine Verbindung. Demgegenüber gehört Bavaria dem WDR/SWF, Studio Hamburg dem NDR, die Kölner Studios dem WDR und RTL. Dieses Grundproblem war schon bei Abschluss des Treuhandvertrages erkennbar – deshalb die Verbindung mit UFA/Bertelsmann, von der man sich in Paris die Auslastung der Studios für die ersten Jahre erhoffte. Denn die Franzosen wollten nie selbst Produzent in Deutschland sein, nur Dienstleister. Vielleicht die falsche Haltung, aber eine verständliche.

Dazu kam der Kampf der Länder – ihre politische Verflechtung mit den Sendern und der Wettbewerb bei den Fördermitteln, wo Berlin/Brandenburg trotz aller Anstrengungen nicht mithalten konnte. Die Folge war, dass die Aufträge nach wie vor an Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hamburg gingen, neuerdings auch von Freistaat zu Freistaat nach Sachsen.

Ebenso falsch hatten wir den internationalen Wettbewerb eingeschätzt. Die französischen Produktionen, zunächst zahlreich, blieben bald aus, weil Paris diese Landesflucht mit Verlust von Fördermitteln bestrafte. Amerikanische Produktionen gingen nach London oder Irland wegen Sprach- und Steuervorteilen, vor allem auch wegen der unkomplizierteren Lohn- und sonstigen Vorschriften, oder nach Prag, Budapest und Rumänien wegen der niedrigeren Löhne. Wir saßen zwar in der Mitte, aber zwischen allen Stühlen.

Heißt das, der Investor sollte jetzt nach Ablauf der zehnjährigen Bindung durch den Treuhandvertag das Studio doch noch abwickeln? Es bleibt die Hoffnung, dass der gerettete Standort eines Tages doch noch zur Größe seiner Tradition zurückfinden wird. Das kann rasch geschehen, wenn der Medienerlass, der es erlaubt, jährlich private Milliarden in Hollywoodfilme zu investieren, in einem kleinen Nebensatz verlangt, dass die Herstellung in Deutschland geschehen muss. Damit wäre in allen deutschen Studios schon mal für Auslastung gesorgt.

Eine Chance für Medienkonzerne

Die eigentliche Frage aber ist, heute wie vor zehn Jahren, ob unsere eigenen Medienkonzerne sich nicht doch wieder – wie die französischen und britischen – für Film im großen Maßstab interessieren werden. Ist es denn wirtschaftlich vernünftiger, immer nur in Hollywood einzukaufen statt selbst zu produzieren? Riesige Summen in Filme zu stecken, auf die man keinen Einfluss hat, statt selbst zu entwickeln? Ist es nicht ein Armutszeugnis, sich so aus der Filmgeschichte zu stehlen? Kulturell wie unternehmerisch? Bernd Eichinger und ein paar andere Mutige haben bewiesen, dass es auch anders geht. Auch die Ufa hat Projekte, wie „Die Päpstin“. An großen Stoffen fehlt es ja nicht.

Vivendi Universal wird sich von Babelsberg trennen, davon bin ich überzeugt. Anders als die überalterte Defa vor zehn Jahren steht heute ein komplett runderneuerter Betrieb, ohne jede Investitionsverpflichtung und – bitte das nicht zynisch verstehen – ohne Arbeitsplatzgarantie zur Verfügung. Der Einstieg eines deutschen Medienkonzerns in Babelsberg könnte das Studio in unsere Film- und Fernsehlandschaft integrieren. Und ein Konzern, der sich bei der internationalen Produktion wieder aktiv einschaltet, macht sich unabhängig von den Höhen und Tiefen Hollywoods. Ich weiß, ich weiß, die Vernünftigen wissen schon wieder, dass das keiner tun wird. Was aber, wenn doch?

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