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Kultur: Meine Liebesgeschichte mit der Hässlichkeit

Der singende Schauspieler Dominique Horwitz über falsche Züge, unauffindbare Heimat und die Lust am Geben

Herr Horwitz, Ihr Plan, die Hamburger Kammerspiele als Intendant zu übernehmen, ist gescheitert. Verlieren Sie jetzt eine Heimat?

Mit „Heimat“ habe ich insofern abgeschlossen, als ich weiß: Das wird sich für mich nie auflösen, einlösen. Ich bin nicht da geboren, wo meine Eltern geboren wurden, 35 Jahre hab’ ich ein Zuhause gesucht. Irgendwann fiel der Groschen: dass mir das Suchen wichtiger ist als das Finden. Aber meine künstlerische Heimat waren die Kammerspiele vorher schon. Nun wollte ich ein Haus bis unters Dach mit dem eigenen Geist füllen...

Nicht nur das Kind sein, sondern der Vater.

Das wäre biografisch der nächste folgerichtige Punkt für mich gewesen. Aber der Besitzer der Kammerspiele sagte, er brauche 25 Prozent mehr Miete. Sechs Monate lang habe ich versucht, diese nicht finanzierbare Erhöhung abzuwenden. Jeder von uns dachte, er würde den anderen weichkochen.

Hatten Sie ein Hamburger Lieblingsprojekt?

Die Eröffnungspremiere: „Kindertransport“. Ein Stück über die Traumata HolocaustÜberlebender. Über ein Kind, das aus Hamburg nach England verschifft wird und so überlebt. Und die eigene, nicht verarbeitete Geschichte an das eigene Kind weitergibt.

Wie wichtig ist für Sie Ihre jüdische Herkunft?

Sie spielt eine immense Rolle: Ich wäre sonst nicht in Frankreich geboren. Und wäre wohl auch nicht auf der Welt, wenn es das verfluchte „Dritte Reich“ nicht gegeben hätte.

Ihre Eltern haben sich im Exil gefunden.

Das wird immer mein Leben bestimmen. Aber ich bin nicht religiös aufgewachsen.

1971 sind Sie mit Ihren Eltern nach Berlin zurückgekommen. Wie haben Sie Deutschland damals empfunden?

Das Klima im Lande war fürchterlich. Verkrampft. Es gab noch viele alte Nazis und ehemalige Mitläufer. Das ist heute ein ganz anderes Land, mit einer anderen Seele.

Würden Sie nun, wo’s in Hamburg nicht klappt, auch in Berlin ein Haus übernehmen?

Wenn es in Berlin ein Theater wie die Kammerspiele gäbe für mich, etwas größer... Aber ich suche nicht aktiv. Das wäre wie wenn man sich von einer großen Liebe trennt. Das muss erst verarbeitet werden.

In Berlin sind Sie vor 25 Jahren erstmals öffentlich aufgetreten: Ihre Theater-Initialzündung?

Das war politisches Kabarett. Da wurde mir klar, dass mir die Publikumsnähe sehr liegt.

Eitelkeit ist ein Grund, warum man Schauspieler wird, haben Sie mal gesagt. Aber der Zuschauer dürfe das nicht merken.

Im Zimmer vor dem Spiegel Luftgitarre zu spielen, ist nur kurzzeitig befriedigend. Man will gesehen werden. Dieses Bedürfnis habe ich. Dazu kommt ein Sendungsbewusstsein: Ich hab’ was zu geben und ich genieße das.

Könnten Sie sich vorstellen, als Künstler wieder politischer zu werden?

Im Sinne der 70er auf keinen Fall. Das war absolut linkes Kabarett. Damals war ich dogmatischer. Heute interessieren mich Menschen mit Standpunkten, die ich nachvollziehen kann – selbst von CDU-Politikern.

Trennen Sie Politik und Arbeit, wenn Sie in einem Kriegsfilm wie „Stalingrad“ spielen?

Ich denke nicht, dass was gewonnen wäre, wenn ein Film wie „Stalingrad“ nicht gedreht würde. In seiner Härte ist das ein Antikriegsfilm. Da wird es einem richtig kalt.

Und ihre desillusionierte Landserfigur zeigt die konsequente Haltung zu diesem Thema?

Ja, diese Armseligkeit kennen wir. Das waren Väter, Großväter. D as könnten wir sein.

Fühlen Sie sich als Deutscher?

Ich bin Franzose und fühle mich als Deutscher. Aber eigentlich bin ich Preuße, ein Vollpreuße. Meine Mutter kommt aus Ostpreußen, mein Vater war Berliner.

Identifizieren Sie sich mit der aktuellen Friedenspolitik in Berlin und Paris?

Absolut. Ich mag die französische Haltung. De Gaulle hat die Amis rausgeschmissen, da war ich ein Kind, es ging um die Nato. Diese „Mir san mir“-Haltung der Franzosen kennen die Deutschen nicht, nur die Bayern.

Französischer Pass, preußische Gene – und zur Zeit ist Ihre Wahlheimat unter anderem die Landstraße: Sie tingeln viel durch die Provinz.

Dieser Ausdruck kränkt mich tief, er degradiert Veranstalter und Publikum. Das ist ein großer Abend. Die Techniker brauchen einen Tag zum Einleuchten, die Leute zahlen 70, 80 Mark. Das hat nichts mit Tingeln zu tun .

Sie merken die Berliner Arroganz. Aber was bleibt für Sie von diesen Auftritten? Ein Stichwort: Was bleibt von – neulich in Iserlohn?

Stadthalle. Das ist alles.

Von Lörrach?

Schönes Theater, tolles Publikum, ganz nettes Gespräch danach .

Syke?

Ehrenamtliche Veranstalter, die sich ein tolles Publikum herangezogen haben. Da werde ich immer wieder auftreten.

Bad Muskau?

Orangerie, wunderbarer Ort. Polnische Grenze. Hanseaten könnten hier in puncto Publikumszurückhaltung noch was lernen.

Vellmar?

Da war ich doch gerade. Vellmar, Vellmar ...

Am 15.2., die Mehrzweckhalle...

Ganz, ganz, ganz breiter Raum. Und Hans Eichel kam zu spät in die Vorstellung...

Wer ist Jacques Brel, dessen Chansons Sie in all diese Orte bringen, eigentlich für Sie persönlich? Gibt es da eine Liebesgeschichte?

Ja. Die hat mit einem Grundgefühl meiner Kindheit zu tun. Ich bin nie wegen meiner Ohren gehänselt worden (nur mit 14 haben mich meine Kumpels mal zwei Wochen lang damit traktiert, da ging es um Mädels). Trotzdem haben mich die Ohren gestört. Ich fand mich wahnsinnig häßlich, das verbindet mich mit Brel: Ich wäre gern als Junge schön gewesen. Es gibt ein Lied von ihm: „Nur eine Stunde, nur eine Stunde schön, schön sein und so saublöd.“ Dieses Gefühl von Häßlichkeit ist meine Liebesgeschichte mit ihm. Der spach aus, was ich lange Jahre gedacht habe. Inzwischen hat sich das relativiert, ich durfte einige Liebhaberrollen spielen...

Das andere ist Brels Leidenschaftlichkeit. Das war ein gebender Mensch, der brannte an allen Enden. Ich habe auch das Bedürfnis zu geben, aber nie werde ich es so erreichen wie er. Auch wenn ich nach dem Brel-Abend sagen kann, dass ich alles gegeben habe.

Brel ist früh gestorben. Sie haben sich jetzt auch mit seinen späten Liedern befasst.

Seit ich jung war, ist der Tod für mich ein Thema. Ich habe die altägyptische Vorstellung, dass er einem auf der Schulter sitzt. Es wäre in Ordnung, jetzt zu sterben. Schlimm wäre, dass meine Frau, meine Kinder nicht bei mir sind. Aber ich kann sagen: Seit acht Jahren bin ich dem nahegekommen, was ich mir vorstelle zu sein. Ich empfinde Zufriedenheit. Und unglaublichen Tatendrang .

Wenn man die Website www.dominiquehorwitz.com besucht, trifft man Sie als coolen Typen. Duplex-Fotos, durchgestylt: Dieser Typ zeigt nur einen Ausschnitt von Ihnen. Wollten Sie sich selbst auf diese Weise vermarkten?

Ich mag Arbeitsteilung. Mit meinem Freund Christoph Hauptmann habe ich eine Produktionsfirma. Für die Website ist er zuständig. Ich interessiere mich auch nicht für Termine, das machen er und meine Frau; es würde einen Weltkrieg auslösen, wenn ich einen Termin verabreden würde, ich steige auch gern in den falschen Zug. Mich interessiert nur, was ich auf der Bühne mache. Ich weiß nicht mal, wie ein Computer funktioniert.

Das Produkt Dominique Horwitz und Ihre Kunst – sind das verschiedene Baustellen?

Das Produkt bin gar nicht ich. Die Leute kommen ja nicht zu mir, sondern weil es gut ist.

Glaube ich nicht. Es gibt Publikumstrampelpfade. Wenn man seine Kunst gut verkauft, kriegt man doch mehr Möglichkeiten. Und muss dann die Gratwanderung schaffen, sich treu zu bleiben. Kennen Sie den Konflikt nicht?

Überhaupt nicht. Weil ich vieles mache – Theater, Fernsehen, Kino und Chansons, ich singe – , muss ich mich nicht um vielfältige Ausdrucksweisen kümmern. Aber die Bekanntheit durch Kino und Fernsehen erlaubt mir natürlich, Gesangsabende zu machen.

Ihre Verliererrollen kommen an. Viele Ihrer Figuren wecken bei Frauen ein Schutzbedürfnis: großer Junge. Oder: der aggressive Versager.

Mir geht es ums Knacken künstlerischer Nüsse, die interessanten Charaktere laufen nicht auf der Sonnenseite des Lebens. Ein transsexueller Familienvater wie in „Enthüllungen einer Ehe“ ist doch eine harte Nuss. ..

Auf welches Rollenangebot warten Sie?

Der Mega-Brutale. Ein bestimmter Ausdruck von Brutalität interessiert mich. Das würde ich gern spielen, da bin ich begierig drauf.

Ist das der Wunsch nach Grenzerfahrungen?

Das hat was mit Sich-Kennenlernen zu tun.

Sie wollen den Rambo spielen, weil Sie nicht sicher wissen, ob Sie das können?

Ich will Felder beackern, auf denen Versagen möglich ist. Sobald ich etwas kann, werde ich traurig und denke: Nichts wie weg.

Gab es dramatische Brüche in Ihrem Leben?

Krisen gab’s. Damit könnte ich ein Geschäft aufmachen! Doch mein Leben ist stringent: Mit 14 habe ich Schultheater begonnen, bald bin ich 46 – und werde nicht auf einmal ’ne Feinkostkette eröffnen. Brüche gab es keine.

Und die Krisen sind Material für Ihre Arbeit.

Nicht für die Arbeit, ich bitte Sie. Irgendwann werde ich aufgebahrt: hoffentlich doch als Mensch und nicht als Schauspieler. Wenn ich ehrlich bin, interessiert mich der Beruf nicht. Ich interessiere mich im Beruf ...

...für die Welt? Für das Leben?

Für mich. Ich würde mich irgendwann gerne einmal von innen ausfüllen. Ich möchte fühlen, wer ich bin.

Das Gespräch führte Thomas Lackmann.

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