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Kultur: Meine Sprache

Es gab einmal fröhliche Leute, die glaubten, eines nicht zu späten Tages könnten die Erdbewohner eine gemeinsame Sprache des Friedens für sich haben. Es gab solche Leute noch vor weniger als hundert Jahren.

Es gab einmal fröhliche Leute, die glaubten, eines nicht zu späten Tages könnten die Erdbewohner eine gemeinsame Sprache des Friedens für sich haben. Es gab solche Leute noch vor weniger als hundert Jahren. Sie hatten inzwischen Zeit gehabt, zu der Einsicht zu kommen, so eine Sprache müsse künstlich sein: ein Kunstwerk neben den Alltagen des Liebens und Lebens. Ende des 19. Jahrhunderts erfanden der Badener Johann Martin Schleyer "Volapük" und der Warschauer Augenarzt Dr. Ludwig Zamenhof "Esperanto". Man könnte annehmen, sie hätten als Ausgangsbasis für ihre Kunstsprachen Türkisch gewählt, denn es gibt im Türkischen nur eine einzige Form, das Verb zu konjugieren ("olmak" = sein). Dafür ist jedoch der Umgang mit anderen Wörtern umso schwieriger.

In Papua-Neuguinea hinwiederum kommt ein Schüler, der schreiben lernen will, mit elf Buchstaben aus. Dafür freilich verlangt man von ihm 860 Verben (Infinitiv). So viel braucht man für die ganze Kunstsprache nicht.

Ein kluges Buch will mich anlocken mit dem Forschungsergebnis: Die menschliche Sprache kann auf einen, und nur auf diesen einen Laut verzichten, ein dumpfes, leicht gedehntes A (Marmelade). Aber so vielen Gewinn, richtiger: Verlust, bringt uns das für unsere Kunstsprache sicher auch nicht. Ein paar weitere Laute dürfen wir wohl nicht weglassen.

Je näher wir der idealen Kunstsprache kommen, desto deutlicher wird: Es kommt auf die Zahl der Wörter an und, beinahe mehr noch, auf die Zahl der notwendigen Flexionen (Konjunktionen und Deklinationen). So sind auch Schleyer und Zamenhof vorgegangen.

Die Zahl der lebenden Menschen wird, sicher nicht sehr genau, mit 7 Milliarden angegeben. Davon sind mehr als eine Milliarde Chinesen. Als nächstes wären die Bewohner des riesigen Indien zu nennen. Sie sprechen nicht drei und nicht dreißig, sondern 850 verschiedene Sprachen und Dialekte. Unter den Großen sind dann nur noch Britisch (Englisch) zu zählen = 700 000 (richtige Engländer, Amerikaner, Australier) und andere; 5 000 000, die Englisch als Zweitsprache benutzen.

Wörter einer Sprache zu zählen, ist ein ganz seriöses Handwerk. Es kann aber auch sehr komisch sein. Mark Twain tat das gerne. Als Kinder sangen wir: "Kein Lied ist so schön wie das vom Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän". Und der Komiker Karl Valentin dichtete der Pharmaindustrie nach: "Isopropilprophenilbarbitursäurephenilmethildimenthylaminophhirazolon/K".

Es wird darüber gestritten, in welcher Sprache die Wörter länger sind oder kürzer. Die Lösung fand ich, als ich zum ersten Male eine Stadt besuchte, die weder "Ham" noch "Fran" hieß, sondern "L.A.". In einer Sprache, die vernünftig ist, beanspruchen die kurzen Wörter so viel Platz wie die langen. Ich sagte dann meistens "L.A.", aber befriedigt nur deswegen, weil ich wusste, ich kürze nur ab, was ja heißen müßte: "El Pueblo de Nuestra Senora la Raina de los Angeles de Pozciuncula."

Ohne Sprache geht nichts - nichts Heiteres und nichts Trauriges, nichts Friedliches und nichts Gewalttätiges, kein Krieg und kein Terror. Bei der letzten Konferenz 1992 in Rio de Janeiro hatten sich 118 Staatsoberhäupter versammelt. Es ging um die Umwelt, und es ging schlecht. Wie wird es gehen, wenn man den Terror und den Anti-Terror zum wichtigsten Thema machen muss? Vergesst die Sprache nicht. Es muss die gleiche Sprache gefunden werden. Und 118 Dolmetscher genügen da nicht.

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