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Kultur: Meister aller Klassen

Alleskönner: Eine Ausstellung ehrt Berlins bedeutendsten Stadtbaurat Ludwig Hoffmann zum 150. Geburtstag

Von Michael Zajonz

Es gab Zeiten, da kannte das Werk Ludwig Hoffmanns in Berlin fast jedes Kind. Vielleicht nicht gerade dem n nach, wohl aber als erstes bewusst wahrgenommenes Stück Architektur. Denn Berlins bedeutendster Stadtbaurat, der heute vor 150 Jahren in Darmstadt zur Welt kam, baute allein siebzig neue Schulen.

Außerdem entwarf er Feuerwachen, Straßendepots, Volksbadeanstalten, Krankenhäuser zwischen Wedding und Kreuzberg, Tiergarten und Friedrichshain, das Märkische Museum und das Alte Stadthaus. Hoffmanns Handschrift war lange zu Unrecht vergessen. Oder wurde, wie das Rudolf-Virchow-Krankenhaus, mit der Abrissbirne saniert. Doch der Nebel um seine Person lichtet sich langsam, nachdem Hoffmann selbst noch den Bedeutungsverlust der eigenen Lebensleistung miterleben musste.

Die Amtszeit als oberster Baubeamter der Reichshauptstadt dehnte sich von 1896 bis 1924 (die Altersgrenze lag damals bei 72 Jahren). Als undankbarer Schlussstein seiner Karriere blieb die Vollendung des von seinem Architektenfreund Alfred Messel 1909 hinterlassenen Pergamonmuseums - jenes dorische Museumsschloss, das bei der Eröffnung 1930 bereits anachronistisch geworden war. Architektonische Haltungen wechselten in den beiden Jahrzehnten zwischen Kriegsausbruch und seinem Tod 1932 so flott wie Reichskanzler. Hoffmann behauptete Kontinuität bei moderatem künstlerischen Temperament. „Unter den Offiziellen gilt er als modern, unter den Modernen als offiziell“ hatte schon 1907 der Kunstkritiker Karl Scheffler befunden.

Hoffmann war - auf ganz andere Art als sein heutiger Amtsnachfahre Hans Stimmann - einflussreich und zugleich machtlos. Sein Privileg: An der Spitze eines Stabes von 100 Mitarbeitern entwarf und realisierte er alle kommunalen Hochbauprojekte. Seine Ohnmacht: Die Stadtplanung drum herum bestimmte de jure sein Amtskollege vom Tiefbau, de facto der kapitalistische Markt der Bauunternehmer und Grundstückseigner. Hoffmanns vornehmstes Ziel: „gute stimmungsvolle Bauten“ zu schaffen. Jene „Geschmacksinseln“ im urbanen Chaos der aufstrebenden Weltstadt, deren hohe Qualität wir erst langsam wieder zu schätzen lernen. Hoffmanns Aktualität liegt im Entwurfsethos. Was spätere Großbaumeister gern behauptet, doch selten eingelöst haben, war für ihn selbstverständlich. Er baute im menschlichen Maßstab. Seine Häuser richten sich an den Fußgänger. Die kunstvoll gestalteten Schulportale etwa dienen lediglich dem einen Zweck: Sie nehmen spielerisch grüßend die Angst, empfehlen höchstens einmal - wie an der Gemeindedoppelschule in der Kreuzberger Waldemarstraße - den Fleiß der Bienchen.

Der Perfektionist durchdenkt die Wirkung letzter Details. Über die intime Gartenanlage am Märkischen Museum lesen wir in den 1983 von Wolfgang Schäche edierten „Lebenserinnerungen": „Einen schmalen Weg führte ich von hier seitwärts zu einem stillen Plätzchen mit einer Bank, einer ruhigen Stelle, wie sie inmitten einer Großstadt sonst wohl kaum zu finden ist. Hier in aller Ruhe, dachte ich, könne vielleicht ein Schauspieler seine Rolle lernen, ein Dichter seine Verse schmieden, oder vielleicht auch einmal ein junges Pärchen in glücklichen Zukunftsträumen schwelgen." Dass sich ein solch stimmungsgeleitetes Talent voll entfalten konnte, wird all diejenigen verblüffen, die in den Akademien des 19. Jahrhunderts lediglich Kopierstuben staubiger Altertümer sehen. Hoffmann hingegen sprach stets mit Hochachtung von seinen Lehrern an der Berliner Bauakademie. Von ihnen lernt er den souveränen Umgang mit historischen Motiven. Der gepaukten Klassik folgt die bereiste Renaissance eines Andrea Palladio in Vicenza und Michele Sanmicheli in Verona. Wie ein geschickter Alchimist kocht Hoffmann fortan historische Stile und verklärte Erinnerungen zusammen. Nicht immer entsteht dabei architektonisches Gold, oft genug jedoch bemerkenswerter Glanz.

Falls dieser Geschmacks- und Taktmensch heute von seiner Olympierwolke, Sektion Baukunst, hinabschauen sollte, dann wird sein Blick gerührt auf jenes Häufchen Aufrechter um den Architekten Peter Lemburg fallen, das ihm nun eine Ausstellung und ein Colloquium gewidmet hat. Die Ausstellung im Märkischen Museum (der man leider ansieht, dass sie dem Senat keinen Cent Förderung wert war) beginnt endlich einmal mit dem Anfang. Und der war bei Hoffmann gewaltig.

1885 gewann er zusammen mit dem Norweger Peter Dybwad den Wettbewerb für das Gebäude des Reichsgerichts in Leipzig. Mehr noch: Hoffmann, der bis dahin „noch nicht die kleinste Hütte“ gebaut hatte, durfte den Monumentalbau bis 1896 auch selbst errichten. Kaiser Wilhelm II., dem Wallots Reichstag als „Gipfel der Geschmacklosigkeit“ erschienen war, zeigte sich vom – durchaus vergleichbaren – Hoffmann-Bau begeistert. Plötzlich standen dem nicht mehr ganz jungen Meister alle Türen zum gehobenen Staatsdienst weit offen.

Doch Hoffmann will bauen und geht, bei bescheidener Bezahlung, nach Berlin. Im selben Jahr hatte er die Bankierstochter Marie Weisbach geheiratet. Ein typisch wilhelminisches Eheglück. Der mit Aufträgen Überhäufte Architekt findet für seine Kinder oft nur während jener Dienstausflüge Zeit, die er mit dem Fotografen Ernst von Brauchitsch unternimmt. Hoffmann dirigiert vor seinen Bauten die Motivwahl, die Kinder posieren artig am Rand, Brauchitsch fotografiert. Doch rehabilitiert ist Hoffmann auch 2002 nicht. Für seine grandiosen Anstalts- und Klinikbauten in Buch müssen bald neue denkmalverträgliche Nutzungen gefunden werden. Eine Kernaufgabe nachhaltiger Stadtentwicklungspolitik, die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Lieber schwadroniert man weiter über „Berlinische Architektur". Und lässt gleichzeitig Hoffmanns Schulen - so ziemlich das Berlinischste, was die Stadt zu bieten hat - verkommen. Es gilt, was Mies van der Rohe 1956 so nonchalant zu Protokoll gab: „Ja, ja der Hoffmann, dem haben wir alle unrecht getan!“

Märkisches Museum, bis 29. September, Di-So 10-18 Uhr. Kein Katalog

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