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Allegro molto. Patrick Lange im Foyer der Komischen Oper.

© DAVIDS

Komische Oper: Meister von morgen

Karriere-Katapult: eine Begegnung mit Patrick Lange, dem neuen Chefdirigenten der Komischen Oper.

In der überaus glorreichen Vereinsgeschichte des deutschen Dauermeisters Bayern München ist es bislang eher selten vorgekommen, dass durch den Besuch des Fußballstadions bei einem ihrer Fans das brennende Verlangen ausgelöst wurde, eine klassische Musikerkarriere zu starten. Patrick Lange war zarte acht Jahre alt, als er zusammen mit seinem Vater vom mittelfränkischen Greding aufbrach, um in München die Weihnachtsfeier seines Vereins mitzuerleben. Unverhofft erlebte er dort einen Gastauftritt der Regensburger Domspatzen – und wusste sofort: Bei denen möchte ich mitmachen!

Wie schwer es seinen Eltern 1988 fiel, ihren Jüngsten ins 90 Kilometer entfernte Chorinternat ziehen zu lassen, haben sie ihm erst nach seinem Abitur verraten. Der Knirps aber fühlte sich wohl in Regensburg, ließ seinen Knabensopran unter der Leitung des Papst-Bruders Georg Ratzinger strahlen – und beschloss mit 12, Dirigent zu werden. Vier Jahre darauf leitete er tatsächlich seine erste Premiere am Regensburger Stadttheater – eine Jugendclub-Produktion des Musicals „Zustände wie im alten Rom“ –, ergatterte nach der Reifeprüfung einen Platz an der Würzburger Musikhochschule, bewarb sich nach dem ersten Abschluss noch für ein Aufbaustudium in Zürich. Das allerdings konnte Patrick Lange nicht mehr in der Regelstudienzeit abschließen, weil er inzwischen Claudio Abbados Assistent beim Gustav-Mahler-Jugendorchester geworden war.

2007 wurde der Nachwuchsmaestro erstmals an die Komische Oper eingeladen – und gab eine so gute Figur ab, dass man ihn zur folgenden Spielzeit als Kapellmeister ans Haus engagierte. Während er parallel beim Bundesjugendorchester, den Innsbrucker Sinfonikern oder der Glynebourne Touring Opera debütierte, ackerte er sich an der Behrenstraße durchs Repertoire. Bis die Sache mit Carl St. Clair passierte.

Der texanische Kollege hatte im Herbst 2008 gleichzeitig mit Patrick Lange sein Engagement als Generalmusikdirektor der Komischen Oper angetreten. Doch die Ergebnisse seiner künstlerischen Arbeit blieben einerseits weit hinter den Erwartungen zurück, andererseits kam der Dirigent selber immer weniger mit jenem radikalen Regisseurstheater zurecht, das zum Markenzeichen des Musiktheaters geworden ist. Nach der verheerenden „Fidelio“-Premiere Ende April eskalierte die Situation – und Patrick Lange ging als lachender Dritter aus dem Konflikt zwischen Intendant Andreas Homoki und St. Clair hervor. Zwei Jahre, bis Homoki ans Zürcher Opernhaus wechseln wird, darf der 29-Jährige nun als Chefdirigent dem Orchester der Komischen Oper vorstehen. Ein riesiger Erfolg – und gleichzeitig ein enormes Risiko.

Kirill Petrenko war im selben Alter, als er 2002 an die Komische Oper kam. Für ihn wurde der Job an der Behrenstraße zum Karriere-Katapult: Inzwischen dirigiert er an den bedeutendsten Bühnen der Welt sowie bei den Berliner Philharmonikern. Die Frage ist nur: Hat Patrick Lange genauso viel Biss?

Der Franke ist ein wirklich sympathischer Kerl, mit dem man problemlos ins Plaudern kommt. Doch charming war Carl St. Clair auch immer. Für den Aufsteiger kommt es jetzt darauf, an, im harten hauptstädtischen Klassikbetrieb durch packende Interpretationen auf sich aufmerksam zu machen. Und sich an der Komischen Oper den nötigen Respekt zu verschaffen. Gleich bei seiner ersten Premiere, Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ Ende September, werden alle besonders aufmerksam hinhören: 1981 startete Harry Kupfer seine Ära an der Komischen Oper mit just diesem Stück, das eigentlich die Dimensionen des 1200-Plätze-Hauses sprengt. Nun soll es erneut ein Statement für die Leistungsfähigkeit der Bühne werden. Andreas Homoki muss sich als kongenialer Regiehandwerker beweisen, Patrick Lange seinerseits das Kammerspielhafte der Partitur hörbar machen. Keine leichte Aufgabe, wenn man die „Meistersinger“ das allererste Mal dirigiert.

Doch als angehender Maestro sollte man einen Begriff wie „Angst“ tunlichst aus seinem Wortschatz streichen. Wenn die Wiener Staatsoper anfragt, ob man mal eben ein paar Aufführungen von „Madame Butterfly“ und „Don Giovanni“ sowie die Silvestervorstellung der „Fledermaus“ übernehmen will, dann sagt man natürlich „Ja!“. Und wenn man plötzlich hausintern zum Prinzipal berufen wird, dann bekommt man auch innerhalb einer Spielzeit 61 Abende hin, mit drei Premieren – neben den „Meistersingern“ Dvoraks „Rusalka“ und Mozarts „Idomeneo“ – sowie sechs verschiedenen Stücken im Repertoire und einem Sinfoniekonzert.

Wer Patrick Lange beim Dirigieren zuschaut, seine gleichzeitig elegante wie zweckdienliche Gestik beobachtet, die er locker aus der Schulter heraus entwickelt, blickt der Zukunft dieses jungen Mannes durchaus hoffnungsfroh entgegen. Dass er grundsätzlich neugierig auf Regie-Ideen ist, sich auch von ungewöhnlichen Konzepten überzeugen lässt, wenn sie nicht gegen die Musik gerichtet sind, dürfte ihm im Probenalltag an der Komischen Oper zugute kommen. Und weil er kein dogmatischer Interpret ist, sondern sich lieber jeden Abend neu vom Teamgeist inspirieren lässt, spontan auf Schwingungen reagiert, könnte Patrick Lange bei seinem neuen Job sogar richtig Spaß haben.

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