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Kultur: Menetekel eines Jahrhunderts

Nagano und das DSO mit Strauss und Bartók.

Was für ein Gegensatz an diesem Samstag in der Philharmonie! Erst die „Metamorphosen“ von Richard Strauss, dieses in das Ende der Nazizeit hineinkomponierte, schwergängige Adagio, das sich an seiner eigenen Betroffenheit berauscht. Dann Béla Bartóks Operneinakter „Herzog Blaubarts Burg“, dessen früheste Version am Vorabend das Ersten Weltkriegs entstand: ein mit Feuerschrift verfasstes Menetekel des 20. Jahrhunderts, seiner Gewalt und seiner blutigen Kriege.

Das Deutsche Symphonie-Orchester unter Leitung seines ehemaligen Chefs und jetzigen Ehrendirigenten Kent Nagano gewinnt den auf Intensität insistierenden Motivrepetitionen und -variationen des tönernen Mahnmals von Strauss seine subkutanen Wahrheiten ab: in den Momenten der quälenden Übersteigerung von Strauss’ Eklektizismen (der zunächst in die NS-Kulturpolitik verstrickte Komponist äußerte sich 1945 verzweifelt angesichts der zerstörten deutschen Kulturstätten) wie im minutiös ersterbenden, hypnotischen Schluss. Auch wenn Nagano die Generalpause vor dem Eroica-Zitat etwas zu effektvoll überdehnt.

Das Gegenteil von Betroffenheit ist Offenheit. Herzog Blaubart bringt seine vierte Frau auf seine Burg, Judit besteht darauf, alle sieben Türen zu öffnen. Dahinter liegen die Schreckenskammern der Menschheit. Folterverlies, Waffenarsenal, die Blutspur des Reichtums, die vergifteten Gärten der Schönheit, das Zentrum der Macht, die Tränen der Opfer, das Totenreich. Bartók hat eine expressive Albtraummusik daraus komponiert, die das DSO denkbar plastisch zu Gehör bringt: Man kann den Schrecken mit Händen greifen, in den grellen Sekundreibungen, den unerbittlichen Quartrückungen, scharfkantigen Rhythmen, dem sämigen Streicherklang, der Wehmut der Klarinette.

Martin Wuttkes Prolog gibt den Ton vor: Kein Märchen wird erzählt, sondern Freudsche Analyse betrieben, Seelenschau der Macht. Matthias Goerne und Tanja Ariane Baumgartner (von der man in Berlin hoffentlich bald mehr hören kann) nehmen ihn auf: Goerne stattet den Herzog mit der sonoren Autorität eines Potentaten aus, aber auch mit dem Schmerz eines Verfluchten: Blaubart als Fliegender Holländer, als unerlöster Gott. Und Baumgartners glutvoll timbrierter Mezzosopran grundiert die Wahrheitssuche einer Frau, die sich ihrer Angst stellt, die genau hinschaut und jedes Verdrängen verweigert. Ein nachtschwarzer, hellsichtiger Vorosterabend. Christiane Peitz

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