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Der Pianist und Dirigent Vladimir Stoupel.

© Promo/Vladimir Stoupel

Vladimir Stoupel spielt Schostakowitsch: Mensch hinter der Maske

Ein Schostakowitsch-Abend mit Vladimir Stoupel in der Mendelssohn-Remise am Gendarmenmarkt.

Wer Musik von Dmitri Schostakowitsch spielt, kann zwei Wege einschlagen: Da wäre die Möglichkeit, das Biografische zu betonen, das Leiden am Sowjetsystem, die ständige Angst vor der Verhaftung, das Maskenhafte vieler Werke, die an der Oberfläche sozialistisches Bewusstsein demonstrieren, während jene, die feine Sensoren haben, darunter die wahren Gefühle entschlüsseln können. Oder der Interpret fokussiert sich ganz auf die Meisterschaft des Komponisten, der alle Stile souverän beherrschte, von der barocken Polyphonie im Geiste Johann Sebastian Bachs bis zu den Tricks der Tanzkapellen.

Bei dem Klavierabend, den er am Freitag in der Mendelssohn-Remise am Gendarmenmarkt gibt, im Rahmen eines Symposiums der „Schostakowitsch Gesellschaft“, findet Vladimir Stoupel eine gute Balance zwischen beiden Herangehensweisen. Die Wissenschaftler diskutieren mögliche Blickwinkel auf den Komponisten im 21. Jahrhundert, der Pianist bringt sie mit der 1943 entstandenen 2. Klaviersonate zum Klingen.

Orchestral gedacht ist der Eröffnungssatz, und Stoupel vervielfältigt sich förmlich, hat in seinen fliegenden Fingern gleichzeitig Streicher, Holz-, Blechbläser und Schlagwerk. Das Largo macht er zum weiten Klangraum, lässt einen einsamen Menschen in nächtlicher Natur wandeln. Im Finale entwickelt sich aus einer schlichten Kindermelodie ein ausgedehnter Variationszyklus: Der Pianist behält den Überblick, damit die Zuhörer sich fallen lassen können, von einem emotionalen Zustand in den nächsten.

Eine Fuge von schier sündiger Klangpracht

Bislang auf Deutsch unveröffentlichte Briefe des jungen Schostakowitsch an seinen Freund Iwan Sollertinski trägt Patrick Güldenberg anschließend angemessen ausgelassen vor: Schließlich geht es darin nicht nur um hehre Kunst, sondern auch um erotische Abenteuer. Der Kopfmensch Schostakowitsch wiederum zeigt sich bei der Uraufführung eines Präludiums mit Fuge, einer von Krzysztof Meyer vervollständigten Trouvaille aus dem Nachlass, die beweist: Selbst das Aussortierte ist bei diesem Komponisten noch von höchster Qualität.

Karol Rathaus, den polnischen Zeitgenossen Schostakowitschs, wählt Vladimir Stoupel als ästhetischen Kontrapunkt: Dessen 3. Klaviersonate von 1927 ist berauschend klangsinnlich und ungemein virtuos, verzichtet auf einen langsamen Satz, bietet raffinierte Maschinenmusik mit Einsprengseln von spanischer Atmosphäre oder Jazz, eine Fuge von schier sündiger Klangpracht und endet absolut modern, mit einem lässig-lapidaren Schlenker, einem auskomponierten Augenzwinkern.

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