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Kultur: Michael Zaremba beschreibt das Leben der Berliner Wild-West-Legende Billy Jenkins

Es hieß, Billy Jenkins liebe die Tiere mehr als die Frauen. Auf seiner Berliner Farm, der "Villa Elfriede" in Tegel-Konradshöhe, lebten in zahlreichen Käfigen und Volieren Tauben, Eulen, Bussarde, Falken, See- und Kaiseradler.

Es hieß, Billy Jenkins liebe die Tiere mehr als die Frauen. Auf seiner Berliner Farm, der "Villa Elfriede" in Tegel-Konradshöhe, lebten in zahlreichen Käfigen und Volieren Tauben, Eulen, Bussarde, Falken, See- und Kaiseradler. Der Pflegeaufwand für die Vögel war erheblich. Zur Versorgung der Tiere legte Jenkins eine Kaninchen- und Taubenzucht an, und um die Bedürfnisse der Seeadler zu befriedigen, wurde täglich frischer Fisch angeliefert. Zuweilen suchte Jenkins die Jagdgründe des Tegeler Forstes auf, wo er Kaninchen erlegte oder entflohenem Federvieh nachstellte.

Jenkins, der etwa 1,70 Meter groß und zeitlebens schlank war, blaugraue Augen hatte und meist einen Cowboyhut trug, war nicht nur als Artist, sondern auch als Titelheld einer nach ihm benannten Romanreihe bekannt. Er galt als Vorzeige-Cowboy und Original. Viele Legenden rankten sich um ihn, selbst geschrieben hat er jedoch nie. Jenkins wohnte im oberen Stockwerk des Hauses. Dort befand sich seine Sammlung amerikanischer und asiatischer Trophäen: Wildwest- und Indianerexponate, Abenteuerbücher, Fotografien und Plakate von eigenen Varieté- und Zirkusauftritten. Er besaß unter anderem die Sitzgruppe eines texanischen Farmers von 1860 mit Hörnern von Longhorn-Rindern - von ihm als "Büffelmöbel" bezeichnet -, einen Seidengobelin mit einer Büffeljagdszene, den Sägezahn eines Haifisches aus dem chinesischen Meer, das Sandstein-Relief eines Indianerkopfes.

Im Erdgeschoss befand sich Frieda Schönmanns Wohnung und die Küche. Sie war der ruhende Pol im Leben des Artisten, dessen Denken und Trachten meist durch die Wiederbelebung von Erinnerungen, der Heilung körperlicher Blessuren oder Visionen von künftigen Auftritten geprägt war. Ein häuslicher Mensch war Jenkins nie. Für die Nachbarn war die Farm ein kurioses, manchmal auch störendes Phänomen. Jenkins lautstarke Übungen mit Schußwaffen und das lärmende Grammophon mit Marschmusik, das die Tiere an den Lärm in der Manege gewöhnen sollte, fanden wenig Gegenliebe.

Wenn die Bullenpeitsche knallt

Im Garten stand ein ausrangierter Zirkus- Wohnwagen, in dem Jenkins sich tagsüber aufhielt. Der Künstler ging spät zu Bett und schlief bis in die Vormittagsstunden. Nach Schulschluß hörten die Nachbarskinder das Knallen der Bullenpeitsche. Sie standen neugierig am Gartenzaun, wenn er eine Indianerhaube aus seiner Sammlung hervorholte. Dann lehrte er sie, mit Pfeil und Bogen zu schießen. Ein Höhepunkt war der Aufmarsch mit dem großen Steinadler auf der Faust. "Goliath" besaß eine Flügelspannweite von 2,20 Meter und gehorchte sogar im Freiflug jedem Kommando und Pfiff. Zuweilen trug Jenkins eine Lederkappe und balancierte den riesigen Adler, der die Flügel ausgebreitet hielt, auf dem Kopf. Begleitmusik war die brandenburgische Hymne "Steige hoch, du roter Adler".

Jenkins "Great Western Cowboy Sport Show" bestand aus einer als Indianer und Cowboys kostümierten Gruppe, die einen Postkutschenüberfall simulierte. Die "gefährliche" Begegnung gab dem Helden Gelegenheit, seine Schieß-, Lasso- und Reitkünste zu demonstrieren. Ein kleines Holzgebäude namens "New Ohio Pig Ranch" und eine Miniatur-Stage-Coach bildeten die Kulisse für das schießwütige Spektakel.

Auf Fotografien, die die Jenkins-Show in den dreißiger Jahren vermutlich an einem norddeutschen Deich zeigen, ist ein großer Schutzvorhang zu sehen, hinter dem die Requisiten und Tricks für den Auftritt vorbereitet sind. Vor dem großen Paravant stehen kleine Tipis und eine wehende US-Flagge. Jenkins steht hutschwenkend inmitten einer Gruppe berittener "Indianer", die bei näherem Hinsehen sowohl aus schwarzhäutigen wie bleichgesichtigen Personen bestehen. Die etwas abseits sitzenden "Cowboys" tragen riesige Sombreros und haben Trommeln in den Händen. Vermutlich heuerte Jenkins für die Sommersaision "Hilfswestmänner und Indianer" an, um seine Show möglichst beeindruckend zu gestalten.

Jenkins gefiel sich in der Rolle des tollkühnen Burschen, dem kein Abenteuer zu gefährlich ist. Er ritt hoch zu Ross im weißen, perlenbestickten Anzug in das Cafe "Unter den Linden" und inszenierte ein Revolverduell. Billy rief laut in den Saal, dass er sich mit einem Gast wegen einer schweren Beleidigung duellieren müsse. Restaurantbesucher und Cowboy standen sich Auge in Auge gegenüber, beide zogen blitzschnell den Revolver aus dem Holster, Schüsse krachten, und zur Bestürzung der Café-Besucher sank der Gegner von Jenkins blutüberströmt zu Boden. Solche Auftritte geschahen gewiss mit Wohlwollen von Jenkins Chefs. Um den Bekanntheitsgrad seines Zirkusunternehmens zu steigern, inszenierte Stosch-Sarrasani gelegentlich selbst Raufereien mit Indianern in eleganten Restaurants.

Jenkins trat 1933 der NSDAP bei. Am 3. Februar 1934 änderte er seinen Geburtsnamen auf Empfehlung des Ortsgruppenleiters von Rosenthal in Fischer - mit der Begründung: "dass ich meinen Geburtsnamen, Fischer, unter Nachweisbringung meiner rein arischen Abstammung von Herrn Ministerpräsident Göring durch obige Urkunde wieder erhalten habe. Da ich im sechsten Lebensjahr durch die Ehe meiner Mutter mit Georg Rosenthal adoptiert wurde und dessen Namen erhielt." Recherchen beim zuständigen Amtsgericht Berlin-Wedding ergaben indes, dass im fraglichen Zeitraum (ca. 1890-1892) keine Adoption eines Georg Rosenthal stattgefunden hat. Entgegen Jenkins Erklärungen war er im rassischen Sinne Halbjude.

Angeblich wurde Jenkins, der Mitglied im Deutschen Falknerorden war, von der Reichsführung zu einer Beizjagd eingeladen. Hermann Göring, seit Juli 1934 unter anderem Reichsforst- und Reichsjägermeister, hatte sich in der Schorfheide am Werbellinsee einen stattlichen Wohnsitz namens "Karinhall" errichtet. Görings Reichsfalknermeister Renz Waller lud den Artisten dorthin ein. Jenkins, der in einem Wagen von Konradshöhe abgeholt wurde, erschien in einen deutschen Jägeranzug und führte einen großen Steinadler mit. Der dunkelbraune Vogel mit goldgelbem Hinterkopf und Nacken, gelber Wachshaut und gelben Zehen jagte in niedrigem Überraschungsflug,wobei er besonders Wildhühner und mittelgroße Säugetiere wie Murmeltiere, Hasen, Füchse mit seinen sehr kräftigen, spitzen Krallen ergriff und tötete. Später wurde erzählt, dass der Adler Hitler angegriffen habe. Doch Jenkins dürfte diese Episode erfunden haben, um seinem Publikum in den fünfziger Jahren zu suggerieren, dass er die Reichsführung ebenfalls abgelehnt habe.

Es wird berichtet, dass Jenkins während einer Greifvogeldressur zum Gaudium anwesender Parteigenossen ein metallenes Hakenkreuz in die Luft warf, das von dem "Reichsadler" Goliath im Fluge aufgefangen wurde. Eine Fotografie zeigt Jenkins, wie er auf der Bühne triumphierend ein großes Hakenkreuz über dem Kopf hält, auf dem ein gusseiserner Reichsadler thront. Dieser Auftritt zeigt, wie stark Jenkins "mit den Wölfen heulte", wie es die Redensart ausdrückt. Eine Postkarte von 1933 trägt bereits die Unterschrift: "Heil Hitler. Ihr Billy Jenkins".

Dem Wahnsinn nahe

Am 26. August 1940 widerfuhr Jenkins ein Unglück, das sein Leben für immer veränderte. "Nachdem der Circus Busch am Sonntagabend seine letzte Vorstellung in Litzmannstadt gegeben hatte", berichtete die Litzmannstädter Zeitung, "rollte bereits in den frühen Morgenstunden des Montags die ganze Zeltstadt mit der Reichsbahn Richtung Westen nach Waldenburg in Schlesien. Unmittelbar hinter Pabianice bemerkte ein Mann aus dem Zugpersonal, wie Rauch aus einem Wagen hervorquoll, doch maß er dem keine größere Bedeutung bei. Bald darauf stand der Wagen in hellen Flammen. Das Feuer griff auf einen zweiten über. In der Nähe von Chechlo hielt der Zug, die Plattform wurde losgekoppelt und Eisenbahn- und Zirkuspersonal begannen mit den Löscharbeiten. Es gelang jedoch nicht, die beiden Wagen zu retten. Billy Jenkins der bekannte deutsch-amerikanische Meisterschütze und Raubvogellehrer, um dessen Wagen es sich handelte, trug bei diesem Unfall zahlreiche Brandverletzungen davon. Seine Steinadler und sonstige Raubvögel verbrannten mit seiner Habe in den Wagen."

Soweit der Bericht. Erst in der Morgendämmerung hatte man Jenkins nackten und verbrannten Körper gefunden, der von der Explosion seiner Munitionsvorräte auf das Nebengleis geschleudert worden war. Er wurde in Decken gehüllt und in das deutsche Militärlazarett Pabianice gebracht. "Dort befand ich mich dem Elend des Wahnsinns nahe", schrieb Jenkins 1948.

In Jenkins nahm der Verdacht Gestalt an, dass ihn die Reichsführung als unliebsame Person verfolge. Er glaubte, dass der Brand ein von der Gestapo durchgeführter Anschlag auf sein Leben war. Denn normalerweise hätte sich der Künstler zurzeit des Brandes bei den Vögeln aufgehalten, nur zufällig hatte er einen anderen Waggon aufgesucht. Seine Behinderung kaschierte er durch ein Stahlkorsett, Kleidung und Cowboyhut verdeckten die Brandverletzungen. Erst sieben Monate nach dem Unglück trat der Unverwüstliche wieder auf.

Billy Jenkins starb am 21. Januar 1954 in seinem Wohnwagen. Mit 68 Jahren. Er wurde am 25. Januar auf dem Friedhof Köln-Melaten begraben. Die Friedhofshalle war mit Menschen überfüllt, auf dem Sarg lag sein Cowboyhut. Zum Abschied erklang Billys Lieblingslied: "Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand."Der Autor stellt sein Buch, "Billy Jenkins. Mensch und Legende" (Hansa Verlag, Husum 2000. 176 Seiten. 29,80 Mark), heute um 15.30 Uhr in der Urania vor. Der Text ist in gekürzter Fassung dieser Biographie entnommen.

Michael Zaremba

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