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Kultur: Milch und Schokolade

Dem Tenorissimo Luciano Pavarotti zum 70.

Es ist schrill um ihn geworden. Für Luciano Pavarotti hat sich in den letzten Jahren vor allem die Boulevardpresse interessiert: für seine Charity-Events mit Popstar-Beteiligung, für die Querelen mit dem Finanzamt, und, vor allem, für den Scheidungskrieg mit seiner Frau Adua, die Hochzeit mit der 35 Jahre jüngeren Sekretärin Nicoletta Mantovani und die im Frühjahr 2003 geborene zweiteheliche Tochter Alice. Opernkenner dagegen schütteln eher den Kopf über „Big P“, der renommierte Stimmspezialist Jürgen Kesting nennt seine Karriere gar einen Abstieg „vom Sänger zum Clown“.

Den rechten Zeitpunkt zum würdevollen Abgang allerdings finden die wenigsten Bühnenmenschen. Denn länger als die Stimme hält der Ruhm, und wenn die Fans bereitwillig teure Tickets kaufen, drängt das Management zum Weitermachen. An seinem heutigen 70. Geburtstag befindet sich Luciano Pavarotti immer noch auf Abschiedstournee, übermorgen ist er in Stuttgart zu erleben, ab Ende Oktober stehen Auftritte in Australien und Neuseeland an, gefolgt von einem Hongkong-Gastspiel, für Juli 2006 sind Arenen in Großbritannien gebucht. Das Farewell-Projekt könnte sich zur unendlichen Geschichte auswachsen.

Doch es gibt ein Mittel gegen Pavarotti- Frust: Man lege eine beliebige Aufnahme aus seinen goldenen Zeiten auf, und sofort ist man wieder hingerissen von diesem einmaligen Timbre. Wie die Frühlingssonne über der azurblauen Amalfiküste strahlt der Pavarotti der Siebziger-, der Achtzigerjahre. Die Fähigkeit zu solchen überirdischen Jubeltönen ist von der Natur für den männlichen Körper eigentlich gar nicht vorgesehen; so singen nur die himmlischen Heerscharen. Und dazu noch dieser Schmelz wie feinste Milchschokolade, betörend, aber nie süßlich! In seinem Fach, als lyrischer Tenor, war er unbestritten der Größte.

Im Februar 1988 hat Pavarotti in Berlin Musikgeschichte geschrieben. Mit 67 Minuten Applaus bedankte sich das Publikum der Deutschen Oper für seinen „Liebestrank“ – die Krönung einer 1961 gestarteten Laufbahn. Nur noch einmal kam er in die Bismarckstraße, im Juli 2003 für eine „Tosca“. Da war er längst zum globalisierten TV-Phänomen geworden. Da hatte er auch sein Waterloo an der New Yorker Met hinter sich, seinem Stammhaus seit 1968: Zwei kurzfristige Absagen des Sängers hintereinander beantwortete das Management mit dem Rauswurf.

Während Pavarotti also weiter durch die Stadien tourt, sind in den großen Opernhäusern mit Juan Diego Florez, Ramon Vargas, Rolando Villazon oder Josep Calleja längst seine Nachfolger angekommen. Ja, mehrere Nachfolger: Durch nur einen Interpreten ließe sich der gewichtigste Tenorissimo aller Zeiten wohl kaum aufwiegen.

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