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Miljenko Jergovićs "Vater": Metastasen des Kriegs

Familiengeschichte als Nationalgeschichte: Der Kroate Miljenko Jergović berichtet von seinem Vater, der sich nichts aus Ethnien und Religionen machte. Leider erklärt er zu viel und erzählt zu wenig.

"Geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb.“ Der schlichte biografische Hinweis verbirgt im Fall von Miljenko Jergović eine komplizierte jugoslawische Geschichte. Zwischen Geburtsort und heutigem Wohnsitz liegt der sogenannte Bosnienkrieg, in dem sich Kroaten, Muslime und Serben nicht nur in Sarajevo sorgfältig auseinanderdividierten. Auch davon, wie schwer es für einen Schriftsteller aus Sarajevo in Zagreb war und ist, trotz zweier kroatischer Eltern die kroatische Staatsbürgerschaft zu erlangen, schweigt die biografische Notiz. Um ordentlicher Kroate zu werden, ist ein katholischer Taufschein die Voraussetzung – bis heute. Religion und Nation sind ganz selbstverständlich miteinander verknüpft. Jergović aber war ungetauft, weil seine Eltern, die im Kommunismus eher zu einem „katholischen Atheismus“ tendierten, das wohl nicht so wichtig fanden.

Von diesen Verschlingungen und den gewaltsamen Schnitten, die die Geschichte Jugoslawiens ausmachen, handelt Jergovićs Vaterbuch – wie all seine Romane zuvor. Als großartiger Erzähler, der Schrecken, Schönheit und Komik zu verbinden weiß, hat er sich mit den Road Novels „Wolga, Wolga“, „Freelander“ und „Buick Rivera“ bewiesen. Sein Abschiedsessay „Vater“, im kroatischen Original 2010 erschienen, nimmt nun den Tod des Vaters zum Anlass, in die Familiengeschichte einzutauchen, die zugleich in „mehrere gemeinsame und getrennte Nationalgeschichten“ hineinführt, „von Kriegen so durchsetzt wie sein alter Körper von Metastasen“.

Die Verabschiedung von ihm, der als Arzt im Krankenhaus in Sarajevo arbeitete, ist zugleich eine Annäherung, denn Jergović hatte den Kontakt zu seinem Vater verloren und dessen zweite Frau – nach der Trennung seiner Eltern – in dreißig Jahren nie kennengelernt. Vom Vater sagt er: „Er stand mir fern und wusste nicht, wie er mich hätte liebhaben sollen.“ Jetzt formt er aus seinen Erinnerungen und den Familienüberlieferungen Bilder, die er als „Metaphern“ bezeichnet. „Metaphern“, so Jergović, „sind gleichsam die Elementarteilchen, aus denen alles entsteht.“ Und es ist die Literatur, die sie zu einer neuen Wirklichkeit formt.

Zwischen allen Stühlen

So sind es einzelne, sprechende Szenen, die das Schweigen des Vaters über die eigene Lebensgeschichte füllen müssen. Die Urszene ist seine Heimkehr am Ende des Zweiten Weltkriegs. Serbische Tschetniks hatten ihn rekrutiert; auf ihrer Seite kämpfte er gegen die faschistische kroatische Ustascha. Für seine Mutter, Jergović Großmutter, die als Katholikin Ustascha-Anhängerin war, gehörte er damit zu den Kommunisten, weshalb sie dem schwer verletzt im Bett liegenden Sohn noch nicht einmal ein Glas Wasser bringen wollte. Das zweite Bild ist dann tatsächlich eine Metapher: Der Ort, an dem Jergović im Herbst 1965 gezeugt wurde, war ausgerechnet das Hotel Panorama in Pale, wo 1941 der jugoslawische König Petar übernachtete, kurz vor der Niederlage gegen Hitlerdeutschland und seiner Flucht ins lebenslängliche Exil.

1992 war das Hotel dann Regierungssitz von Radovan Karadžić, dem Anführer und obersten Kriegsherren der bosnischen Serben. Damit ist der metaphorische Ort zwischen allen Stühlen für Jergović schon vor seiner Geburt festgelegt – als einer am falschen Ort, der es schließlich ja auch Karadžić zu „verdanken“ hatte, dass er Sarajevo verließ und heute in Zagreb lebt. Der Vater war während des Krieges dem Gerücht ausgesetzt, Serbe zu sein. Er konnte sich nicht dagegen wehren, ohne dass er im Dementi dann doch schon die nationalistischen oder rassischen Kriterien in Anschlag gebracht hätte, die er doch verachtete. Ähnlich erging es dann Jergović selbst, als er in Zagreb seine Zugehörigkeit zum Kroatentum zu beweisen hatte.

„Vater“ ist ein bitteres Buch, was die Nationalgeschichte angeht. Es ist voller Zuneigung, was den fremden, fernen Vater betrifft. Leider denkt und erklärt Jergović in seinem Essay zu viel und erzählt zu wenig. Dabei sind es die einfachen Geschichten, die sich am stärksten einprägen. So etwa der Tag, an dem er als kleiner Junge den Vater zu einem Krankenbesuch aufs Land begleitete. Da beobachtet er, wie die Bauern ein merkwürdiges Holzgestell aufbauen, das er sich nicht erklären kann, bis dann ein Stier hineingeführt und mit den Beinen nach oben festgezurrt wird.

Unterwegs. In Miljenko Jergovićs Werk geht es immer wieder um das Nichtdazugehören.
Unterwegs. In Miljenko Jergovićs Werk geht es immer wieder um das Nichtdazugehören.

© Miodrag Trajkovic/Schöffling

Dann kommt ein Mann im weißen Kittel, der Tierarzt, und zerschlägt dem Jungtier mit einem Hammer die Hoden. Drei, vier explosive Schläge, und bei jedem zuckt das Tier, dass das Gerüst wackelt, und stößt dabei markerschütternde Schreie aus. Der Junge ist verstört. Da kommt der Vater zurück, im Haus setzen die klagenden Schreie einer Frau ein, der Patient ist gestorben. Und jetzt vermischen sich die Schreie von Stier und Frau und die weißen Kittel des Tierarztes und des Vaters zu einem Bild. Der Junge wird nie im Leben darüber sprechen, so wie ja auch der Vater nie über das sprach, was ihm widerfuhr.

Der „Vater“-Essay ist Jergovićs persönlichstes Buch. Es ist der groß angelegte Versuch, das familiäre und das nationale Schweigen zur Sprache zu bringen. Unbeirrbar schreibt er gegen die Heldenlegenden, die Mythen und die Halbheiten der Geschichtsklitterer an und setzt seine „Metaphern“ dagegen. Jergović wird sich auch damit, wie mit all seinen Romanen, weder in Kroatien noch in Bosnien und Serbien Freunde machen.

Miljenko Jergovic: Vater. Aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert. Schöffling & Co, Frankfurt/Main 2015. 202 Seiten, 19,95 €.

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