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Kultur: Minimal bis maximal

Brücke, Picasso, Flick und Immendorff: Hundert Jahre moderne Kunst auf einen Schlag

Schlangen vor Goya, Schlangen vor Nofretete, Schlangen vor dem Pergamonmuseum, die MoMA-Schlange aus dem letzten Jahr noch unvergessen: Die Schlange scheint das neue Wahrzeichen der Berliner Kunstwelt. Nun aber schlägt endlich auch die Stunde der Gegenwartskunst. Zum zehnten Mal findet vom 29.September bis 3.Oktober das Art Forum Berlin, die internationale Messe für Gegenwartskunst, in den Messehallen am Funkturm statt. 1995 von Galeristen als Konkurrenz zur Art Cologne gegründet, hat sie sich zu einem wichtigen Umschlagplatz für junge Kunst entwickelt. Und immer sind Berlins Galeristen bemüht, rund um das Art Forum mit wichtigen Ausstellungen präsent zu sein.

Von den Institutionen der Stadt konnte man das lange nicht behaupten. Altbekannt sind die Klagen, dass gerade die Staatlichen Museen im Herbst, zur Messezeit, oft nur mit dem laufendem Programm vertreten waren. Gerade in den Tagen, in denen internationale Sammler und Künstler nach Berlin strömen, war dort oft nur business as usual angesagt.

Das ist in diesem Jahr anders. Sei es Zufall, sei es Berechnung: Berlin stehen Ende September so viele Großereignisse der Kunst bevor wie noch nie. Fast täglich eröffnet eine wichtige Ausstellung, manchmal sogar zwei.

Es beginnt mit der „Brücke“-Ausstellung, die die Berlinische Galerie gemeinsam mit Madrid zum Jubiläumsjahr der Expressionistengruppe ausrichtet. Es folgt „Der private Picasso“ in Zusammenarbeit mit dem Picasso-Museum Paris, eine Retrospektive des Düsseldorfer Künstlers Jörg Immendorff, der in diesem Jahr seinen 60.Geburtstag feierte, und eine Ausstellung der Berliner Künstlerin Katharina Sieverding, die schon im New Yorker P.S.1 für Furore sorgte. Auch eine zweite starke Künstlerpersönlichkeit, die iranische Videokünstlerin Shirin Neshat, Gastprofessorin an der Berliner Universität der Künste, zeigt im Hamburger Bahnhof neue Filmproduktionen, während das Haus der Kulturen der Welt mit einem Asien-Festival aufwartet und Künstler aus Indonesien, Thailand und Singapur vorstellt. Und auch Friedrich Christian Flick, der seit einem Jahr seine Sammlung neben dem Hamburger Bahnhof zeigt, öffnet die Türen zur zweiten Überblicksausstellung „Fast nichts“. Minimal Art steht diesmal im Zentrum, und nach der chaotischen, opulenten Erstpräsentation ist ein konzentrierterer, strengerer Blick zu erwarten.

So ist die Kunst des 20.Jahrhunderts in diesem Herbst kräftig in der Stadt präsent, von ihren Anfängen um 1905 bis hin zu allerjüngsten Strömungen. Der MoMA-Erfolg hat ein für alle Mal klar gemacht: Kunst ist ein wichtiger Standortfaktor für Berlin. Und er hat auch den neuen Kunstboom begründet: Von den 1,1 Millionen Besuchern, die im Sommer 2004 rund um die Neue Nationalgalerie Berlin anstanden, profitiert der Verein der Freunde der Nationalgalerie, der den MoMA-Coup damals gelandet hatte, bis heute. Nicht nur die – ebenfalls auf Besucherrekorde zielende – „Goya“-Ausstellung in der Alten Nationalgalerie wird durch MoMA-Gewinne finanziert, auch die „Picasso“-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie und die Immendorff-Ausstellung gehen auf das Konto des Vereins.

Und noch ein Kunstereignis wird durch den Verein ausgerichtet: Am 27.September wird im Hamburger Bahnhof der mit 50000 Euro dotierte „Preis der Neuen Nationalgalerie für junge Kunst“ verliehen, für den Anri Sala, Monica Bonvicini, John Bock und Angela Bulloch kandidieren. Es mögen die Institutionen der Stadt sein, die jetzt ein mächtiges Kunstfeuerwerk abbrennen – gezündet wurde es von privaten Händen.

Alles bereits gezeigt, möchte man nach der Brücke-Ausstellung der Neuen Nationalgalerie denken. Nicht doch: Unendlich viel verbirgt sich in fernen Museen und Privatsammlungen, und gerade aus diesem Fundus schöpft die Doppelausstellung von

Berlinischer Galerie (1.10. bis 15.1.) und Brücke-Museum mit ihren rund 190, teils kaum oder gar nicht bekannten Werken. Gewiss entsteht kein neues Bild der Brücke; wohl aber wird es um die Facetten des stark von van Gogh beeinflussten Frühwerks bereichert. Dresden mit den Augen des Holländers zu sehen, war geradezu der Ausgangspunkt des Brücke-Quartetts, ehe die Vier zu ihrer ähnlichen, doch zunehmend je eigenen Sprache fanden. Wunderbar auch das Kapitel zu den „Akten in der Landschaft“ – das Idyll des jungen 20.Jahrhunderts. BS

Christina Tilmann

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