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Kultur: Mission Nordwestpassage

Das Berliner Kreuzberg Museum stellt die Weltumsegelung des Dichters und Naturforschers Adelbert von Chamisso nach

Mit Orten, die den Namen berühmter Menschen tragen, ist es so eine Sache. Zum Beispiel ist nicht bekannt, ob Adelbert von Chamisso jemals auf dem nach ihm benannten Platz in Kreuzberg weilte. Die Insel bei Alaska dagegen, die seinen Namen trägt, hat er tatsächlich betreten.

Drei Jahre lang, von 1815 bis 1818, war Chamisso (1781-1838) auf einem russischen Expeditionsschiff unterwegs. Hunderte eng beschriebenee Manuskriptseiten, zahlreiche Briefe, aber auch Tierschädel und seltene Pflanzen zeugen von seiner Reise um die Welt, die das Kreuzberg Museum nun für die Ausstellung „Mit den Augen des Fremden. Adelbert von Chamisso – Dichter, Naturwissenschaftler, Weltreisender“ nachgestellt hat. Aus dem Fahrstuhl tritt man direkt in den Schiffsbauch einer Brigg aus dem 19. Jahrhundert. Selbst der ansteigende Schiffsboden und die schrägen Fenster am Heck sind originalgetreu rekonstruiert. Die winzige Kajüte gleicht einer Puppenstube. Noch die geblümten Vorhänge der Schlafkojen zeugen von der Zeit des Biedermeier.

Eine entspannte Schiffsreise dürfte die Expedition ins Nordmeer nicht gewesen sein. Chamisso, ein Jahr zuvor mit der fantastischen Geschichte des „Peter Schlemihl“ bekannt geworden, eines Mannes, der seinen Schatten verkaufte, hatte auf dem Schiff nicht als Dichter angeheuert, sondern als Anatom, Zoologe und Botaniker. Es war die Mission der „Rurik“, eine schiffbare Nordwestpassage durch die Beringstraße zu finden. Dafür war sie vom russischen Reichskanzler kostspielig mit Barometer und Chronometer ausgestattet worden. Schon am ersten Tag seiner Weltreise, die ihn von Berlin zum Schiff nach Kopenhagen bringen sollte, schrieb er kein träumerisches Gedicht auf die künftigen Abenteuer, sondern stieg unterwegs aus der Postkutsche aus und sammelte am Wegesrand Pflanzen, um sie zu botanisieren und zu klassifizieren. Ebenso nüchtern, ja enzyklopädisch behandelte Chamisso alles, was ihm auf der Reise begegnete. Ob er das Missionarswesen in Kalifornien beschreibt, die nautischen Bedingungen festhält oder die erste Grammatik der hawaiischen Sprache verfasst – weder wertet er das Fremde ab, noch verklärt er es.

Vielleicht war es die eigene Biografie, die Chamisso für die Errungenschaften anderer Kulturen sensibilisiert hatte. Als französischer Emigrant war er mit seiner adeligen, katholischen Familie vor der Französischen Revolution nach Berlin geflohen und bekam hier Unterricht von Lehrern, die sich als bürgerliche Protestanten der Aufklärung verpflichtet fühlten.

In der winzigen Kajüte der „Rurik“ verfasste Chamisso nicht nur Reisenotizen, er legte auch eine umfangreiche naturwissenschaftliche Sammlung an. Diese Fundstücke sind in der Ausstellung zum ersten Mal im Original zu sehen: Ein Delfinschädel und eine ausgestopfte Goldschopflumme zum Beispiel. Oder eine Stabkarte aus Palmblattstiften und Muscheln, die den Bewohnern der Marshall-Inseln zum Navigieren diente. Selbst einzelne Pflanzenbelege des Herbariums, das Chamisso für die Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg angelegt hatte, durfte das Kreuzberg Museum ausleihen. Spätestens als die Ausstellungsmacher auf die 40 unaufgearbeiteten Kisten im Archiv der Staatsbibliothek stießen, in denen der Nachlass Chamissos verwahrt wird, müssen sie sich selbst als Schatzsucher gefühlt haben. Denn neben seinem Reisepass fand sich dort auch ein kurioses Traumnotat: Vor der Küste Alaskas hatte Chamisso geträumt, bei einer vornehmen Hundegesellschaft zum Abendessen eingeladen worden zu sein.

Gezeigt werden die Fundstücke und Reisenotizen Chamissos zusammen mit kolorierten Lithographien jener exotischen Länder, die die „Rurik“ auf ihrer Weltumsegelung angelaufen hatte – von den Kanarischen Inseln über Chile, Hawaii und Kalifornien bis nach Alaska. Für die Expedition war selbst ein offizieller Naturzeichner angeheuert worden.

Nach seiner Rückkehr suchte Chamisso nicht länger nach einer nationalen Identität. Für seine botanischen und geologischen Beobachtungen ernannte man ihn 1819 zum Ehrendoktor der Berliner Universität. Außerdem erhielt er eine Anstellung am Königlichen Herbarium des Botanischen Gartens in Schöneberg. Erst zwanzig Jahre später fügte er all die Aufzeichnungen, die er von der Expedition mitgebracht hatte, zu seiner „Reise um die Welt“ zusammen. Heute liegt Chamisso auf dem Jerusalemer Kirchhof vor dem Halleschen Tor begraben. Das Straßenschild am Chamisso-Platz aber wurde kürzlich um eine Berufsbezeichnung erweitert: Adelbert von Chamisso, heißt es dort nun erklärend – Dichter und Naturforscher.

Kreuzberg Museum, Adalbertstr. 95a, bis 3. April 2005. Eintritt frei. Umfangreicher Begleitband, 19,80 €.

Stefanie Müller-Frank

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