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Kultur: Mit "Benya Krik" wird die Filmreihe im Babylon eröffnet

Der Kinderwagen, der die Freitreppe hinuntertrudelt, während zaristische Soldaten in die Menge feuern: Sergej M. Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" riss mit Bildern wie diesen und einer raffinierten Montage das Publikum hin.

Der Kinderwagen, der die Freitreppe hinuntertrudelt, während zaristische Soldaten in die Menge feuern: Sergej M. Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" riss mit Bildern wie diesen und einer raffinierten Montage das Publikum hin. Der Film über eine Meuterei gegen zaristische Offiziere im Marinehafen Odessa war auch in Berlin einer der umstrittensten, erfolgsreichsten des Jahres 1926. Odessa war damals nicht nur einer der größten Produktionsorte für Filme in der UdSSR: Der genius loci der Hafen-, Soldaten- und Schmugglerstadt selbst reizte Filmleute. Eisenstein und sein Kameramann Eduard Tissé inszenierten Bilder im Hafen und auf der Freitreppe, die zu filmischen Mythen geworden sind - Klassiker, die von der revolutionäre Emphase ihrer Entstehungszeit erzählen. Die Filmreihe der diesjährigen Jüdischen Kulturtage hat nicht nur an den "Panzerkreuzer Potemkin" erinnert, sie zeigt die historische Filmszene Odessa als ein Kraftfeld jüdischer Erfahrungen und widersprüchlicher Revolutionsgeschichten. Der lange verbotene Film "Die Kommissarin" von Aleksandr Askoldov (1967/1987) erzählt die Annäherung einer Politkommissarin und einer jüdischen Großfamilie zu Beginn der zwanziger Jahre. Die ideologische Strenge der schwangeren jungen Frau trifft auf Unterdrückungserfahrungen der Familie, die ihr Unterschlupf bietet. Außerdem sind Filme zu sehen, die von der Verfolgung jüdischer Kultur, von der Auswanderung handeln und sich in "Little Odessa" ansiedeln, dem von russisch-jüdisch bevölkerten Brighton Beach in New York.

Isaak Babel ist die Schlüsselfigur der Reihe. 1894 in Odessa geboren, schon als Kind ein Opfer von Pogromen, schuf er in Geschichten aus dem vorrevolutionären Odessa Figuren, die den Stereotypen der Schtetl-Kultur ironisch widersprachen. Sein Gentlemanräuber, Schutzgelderpresser und "König" des Moldawanka-Viertels, Benya Krik, trug die Züge eines lebenslustigen, gewitzten Lebemanns, neben dessen Unterweltmentalität überkommene Tugenden der jüdischen Geschäftsleute unsympathisch und heuchlerisch erschienen. Babel schloss sich der Bürgerkriegsarmee als Korrespondent an und wurde mit seinen Geschichten über die Kavallerie des Generals Budjony in der jungen Sowjetunion berühmt. Er schrieb Drehbücher und Zwischentitel, so für "Jüdisches Glück" - bei dem Kameramann Tissé 1925, ein Jahr vor seiner Arbeit mit Eisenstein, zum ersten Mal die berühmte Odessaer Treppe filmte. Babels unabhängiger Geist machte ihn verdächtig; seine Geschichten erzählten von der Auflösung der alten Kultur in Zeiten des Umbruchs und - trotz seiner sozialistischen Hoffnungen - auch vom Verschwinden der jüdischen Kultur unter dem neuen Regime. Mitte der dreißiger Jahre wurde er für sein mit Eisenstein verfaßtes Drehbuch "Die Beshin-Wiese" als Formalist denunziert.

"Benya Krik", 1926 nach Babels Drehbuch und seinen Odessa-Geschichten gedreht, schildert den Aufstieg und Machtgenuß seines Gangsterhelden, stellt ihn als siegesgewissen Nutznießer an den Geschäften des größten Bäckereibesitzers dar: als einen, der mehr zu holen weiß als die bolschwestischen Kämpfer zu träumen wagen; einen jüdischen Unterweltkönig in zeitweiser Verbrüderung mit den Rotarmisten. Deren Chef, ein Bäckergeselle, erscheint neben dem tanzfreudigen, spendablen, stilbewußten Krik hinterhältig. Kriks Räuber lassen auch im Schutz der Roten Armee nicht von ihren Geschäften ab - sie kapern einen Melonendampfer - und werden dafür liquidiert. Babels Film wurde nach der Fertigstellung verboten, konnte erst 1996 öffentlich vorgeführt werden. Begleitet durch den witzigen, mitreissenden Live-Soundtrack der "Chassidic New Wave" eröffnete er die Filmreihe der Kulturtage, steht aber am 21. 11. noch einmal auf dem Programm.Termine der Kulturtage-Filmreihe im Babylon (Mitte): "Laughter through tears" (UdSSR 1928), mit Piano-Begleitung, am 17. 11. um 19 Uhr. - "Die Beshinwiese" (UdSSR 1935) und "Sergej Eisenstein. Autobiographie" (UdSSR 1995 / 96) am 18. 11. um 19 Uhr. - 20. 11. : um 19 Uhr "Alles ist gut" (Dokument. Essay, Russland 1992); um 21 Uhr: "Die Kommissarin" (UdSSR1967 / 88); anschl. Gespräch mit dem Regisseur Aleksandr Askoldow. - "Beny Krik" (UdSSR 1926), mit Piano-Begleitung, am 21. 11. um 19 Uhr. - "Little Odessa" (USA 1994), am 22. 11. um 19 Uhr. - "Avalon" (USA 1990), am 23. 11. um 19 Uhr. - "Komplott gegen Harry" (USA 1969), am 24. 11. um 19 Uhr.

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