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Kultur: Mit der Heftigkeit eines Tropengewitters - zum 40. Jahrestag der Revolution gibt es Filme, die im Land verboten sind

"Der Film", sagte Luis Buñuel einmal, "ist eine wunderbare und gefährliche Waffe, wenn ein freier Geist ihn handhabt." Natürlich blieb die Reaktion des autoritären Geistes nicht aus.

"Der Film", sagte Luis Buñuel einmal, "ist eine wunderbare und gefährliche Waffe, wenn ein freier Geist ihn handhabt." Natürlich blieb die Reaktion des autoritären Geistes nicht aus. So kehrte Buñuel nach langem Exil erstmals 1972 für die Dreharbeiten zu "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" wieder in seine spanische Heimat zurück. Doch als er den Film dort aufführen ließ, schnitt Francos Zensur einige Szenen heraus. Daraufhin beschloss der Regisseur, nie wieder in Spanien zu drehen. Zudem warfen ihm spanische Regimegegner vor, eine allzu symbolträchtige, unverständliche Sprache zu benutzen, welche die politischen Konflikte des Landes ignoriere. Aber Buñuel blieb seinem surrealistischen Kredo treu. Für ihn war der Film "das beste Instrument, um die Welt der Träume, der Emotionen, des Instinkts auszudrücken."

Welchen Einfluss übt ein autoritäres Regime auf das Filmschaffen aus? Muss die Botschaft eines Films unbedingt verschlüsselt sein, um sich dem Zugriff staatlicher Zensur zu entziehen? Obwohl die Veranstalter des 1. Kubanischen Filmfestivals solche Fragen nicht programmatisch stellen, tritt die Antwort darauf in der umfangreichen Schau zutage. Sie umfasst dreißig Spiel- und Dokumentarfilme, die bis in die sechziger Jahre zurückreichen. Die meisten dieser kubanischen Produktionen sind bisher in Deutschland entweder gar nicht oder nur auf Filmfestspielen zu sehen gewesen. Dazu kommen einige ausländische Streifen, die, wie "Buena Vista Social Club" oder "Lßgrimas Negras", zum derzeitigen musikalischen Kuba-Boom beigetragen haben.

Anlass des Festivals aber ist der 40. Jahrestag der Revolution und, damit verbunden, das 40-jährige Bestehen des kubanischen Filminstituts ICAIC. Die Einrichtung ist bis heute eine Enklave freidenkender Künstler geblieben, ein Bollwerk der Kreativität, das sich gegen die Doktrin grauer Politfunktionäre behaupten muss. Freilich sind diesem kulturellen Stellungskrieg nicht wenige Filmemacher und Drehbuchautoren zum Opfer gefallen. Dazu zählt der Schriftsteller Jesús Díaz, der zu Beginn der 90er Jahre in Berlin lebte und mittlerweile in Madrid exiliert ist. Zusammen mit dem Regisseur und damaligen Leiter des ICAIC, Daniel Daz Torres, hatte er das Drehbuch zu "Alicia am Ort der Wunder" geschrieben, einem Film, der 1991 auf der Berlinale gezeigt, in Kuba jedoch vier Tage nach dem Ansturm seiner Premiere verboten wurde. Der Grund: In der entbehrungsreichen Zeit der wirtschaftlichen "Sonderperiode", als die kubanische Bevölkerung ideologisch bereits auf eine "Null-Option" eingeschworen wurde, zeigte Díaz Torres den Albtraum einer totalitären Gesellschaft.

Frei nach der literarischen Vorlage von Lewis Carroll bediente sich der Regisseur eines alten, wirkungsvollen Tricks: Er lässt ein scheinbar außenstehendes Mädchen die eigene Umgebung erleben, indem er diese als groteske Märchenwelt überzeichnet. Was für den europäischen Zuschauer höchst rätselhaft erscheint, offenbart sich für kubanische Betrachter dagegen als eine stimmige Realsatire, in der jedes Detail des harten Alltagslebens aufs Korn genommen wird. Nur so lässt sich der große, wenn auch kurze Erfolg dieses Films in seinem Heimatland erklären. Dort ist das Publikum aufgrund der herrschenden öffentlichen Doppelmoral mühelos in der Lage, auch die Doppeldeutigkeiten des Kinos schmunzelnd zu erfassen. Bei "Alicia am Ort der Wunder" griffen die kubanischen Kulturbehörden allerdings nicht zur Schere. Statt dessen setzten sich Agenten der Staatssicherheit in die Kinosäle, pfiffen und buhten. Später hieß es in der offiziellen Presse, der Film sei auf Drängen des Publikums abgesetzt worden. Zwar verlor Díaz Torres seinen Posten beim ICAIC, doch inzwischen ist er Akademischer Leiter der von Gabriel García Mßrquez ins Leben gerufenen Internationalen Filmschule in San Antonio de los Baños.

Zum Festival im Kino Balàzs wird der unbequeme Regisseur eigens nach Berlin kommen und seinen neuen Film "Tropicanita" präsentieren. Darin stürzt ein junger deutscher Herr mit großen Flügeln (Peter Lohmeyer) vom Dach seiner familiären und erotischen Illusionen auf das harte Pflaster eines Hinterhofs in Havanna. Die Story, bei der es um krumme Geschäfte, Zauberei und eine Nazi-Verschwörung geht, führt vor Augen, dass die Fantasie von Díaz Torres noch viel üppiger blüht als die Vegetation auf der Zuckerinsel. Doch die Vorstellungskraft kubanischer Regisseure und Drehbuchautoren hat sich in nahezu allen Filmen der letzten Jahre mit der Heftigkeit eines Tropengewitters entladen. Überall springen dem Zuschauer dramatische Hyperbeln entgegen, lauert schwarzer Humor, wird der Blick aufs Absurde freigelegt. Damit gleicht das neue kubanische Kino den literarischen Werken jener Schriftsteller, die alle einmal eng mit dem Film verbunden waren, dann aber die Insel verlassen mussten: Guillermo Cabrera Infante, Zoé Valdés, Jesús Díaz oder Eliseo Alberto. Dass es sich hier wie auch bei den Filmemachern um eine Elite weißer Künstler handelt, entspricht - auch 40 Jahre nach der Revolution - dem sozialen Gefüge Kubas. Nach farbigen Hauptdarstellern wird man in sämtlichen Filmen des Festivals vergeblich suchen. Schwarze und Mulatten tauchen dort, wie überhaupt in den kubanischen Medien, allenfalls als Musiker, Delinquenten, Sportler oder Musiker auf.

Eines jedoch verbindet die Kubaner aller Hautfarben miteinander, und das wird nicht einmal von den Behörden beanstandet: die sinnliche Leidenschaft. "Amor vertical", im Balàzs als Deutschlandpremiere zu sehen, ist ein wunderschönes Beispiel dafür. Den Zuständen in seiner Heimat rückt der junge Regisseur Arturo Sotto mit einer erfrischend ironischen Parabel zu Leibe, die stets zwischen Poesie und Polemik schillert. Auch dieser Film wirkt mit seinen Andeutungen und waghalsigen Übertreibungen wie ein kurioses Spiegelbild der kubanischen Aktualität. In Kuba - wo es keine nennenswerte Presse gibt, der Buchmarkt schon wegen Papiermangels stark eingeschränkt ist und das Staatsfernsehen langweilt - gehört "Amor vertical" derzeit zu den Publikumsrennern. Sotto zeigt ein kafkaeskes Labyrinth der Bürokratie, deren Eingänge von Türhütern mit dunklen Sonnenbrillen versperrt sind. Güterknappheit, Korruption oder die leeren Worthülsen der Propaganda stehen diesmal jedoch nicht im Vordergrund. Sotto ist viel radikaler. Er weist darauf hin, dass die Kubaner nicht einmal mehr ihre Sexualität befriedigen können. Und so gibt es nur einen Ort in Havanna, wo sich die beiden Protagonisten ungestört lieben können: im Fahrstuhl eines Hochhauses, der - durch die häufigen Stromausfälle im Land - glücklicherweise steckenbleibt. Kein Zufall also, dass dieser Film, ein cineastischer Garten der Lüste, den drei Vorbildern des Regisseurs gewidmet ist: Federico Fellini, Tomßs Gutiérrez Alea, dem kürzlich verstorbenen Autor von "Erdbeer und Schokolade", und - Buñuel.1. Festival del Cine Cubano, 20.8.-1.9, im Kino Balàzs, Karl-Liebknecht-Str. 9, Tel.: 242 57 64. Eröffnungsparty am Freitag, 20.15 Uhr mit Live-Musik, Buffet und kubanischen Drinks.

Roman Rhode

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