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Micha Bar-Am

© Micha Bar-Am

Doku über Kriegsfotograf bei der Berlinale: Mit der Kamera an vorderster Front

Der Dokumentarfilm „1341 Frames of Love and War“ würdigt den Kriegsfotografen Micha Bar-Am. Der 91-Jährige hielt Israels Geschichte von Anfang an fest.

Zum Schicksal selbst einiger der größten Fotografen gehört es, dass ihre Werke berühmter sind als ihr Name. So ist der israelischer Fotograf Micha Bar-Am außerhalb seiner Heimat nicht so bekannt, wie er sein sollte - auch wenn er viele ikonische Bilder geschaffen hat.

Eichmann in seiner Glaskabine beim Prozess in Jerusalem. Die Silhouetten junger Rucksackträger aus einem Kibbuz, die im Gänsemarsch über einen Geröllberg der Negev-Wüste marschieren. Verteidigungsminister Mosche Dayan im Gespräch mit Beduinen. Bar-Am, heute 91 Jahre alt, hat die Geschichte des Staates Israel von Anfang an mit seiner Leica-Kamera begleitet. Der israelische Regisseur Ran Tal attestiert seiner Arbeit eine „Emotionalität und Dringlichkeit“, die sich nur schwer bei anderen Fotografen finden lasse.

Langsam verblassende Erinnerungen

„1341 Frames of Love and War“ heißt Tals Film über den Ausnahmefotografen, der in der Berlinale-Reihe Special seine Welturaufführung feiert. Kühn ist die Dokumentation schon in formaler Hinsicht. Sie reiht Hunderte von Aufnahmen und Kontaktabzügen aneinander, unterlegt mit den Stimmen von Micha Bar-Am und seiner Frau Orna, die ihn oft korrigiert, wenn seine Erinnerungen unpräzise werden. Die Zahl 1341 ist willkürlich gewählt, sie steht, so Tal, für die Überfülle des von Orna gehüteten Archivs, zu dem eine halbe Million Negative gehören.

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Warum er fotografiert? „Um mein Leben interessant zu machen“, sagt Bar-Am, der zum Mitglied der elitären Fotoagentur Magnum aufstieg. Dabei war dies Leben bereits abenteuerlich genug. Geboren wurde Micha 1930 als Michael Anguli in Berlin. Von Ulm aus, wo der Vater ein Kaufhaus leitete, floh die Familie 1936 nach Palästina. Den Namen Bar-Am, der für „Sohn der Nation“ steht, nahm der glühende Zionist an, um einen Schlussstrich unter seine bisherige Biografie zu ziehen. Für die tief in der deutschen Kultur verwurzelten Eltern sei das Exil ungleich härter gewesen.

Sohn der Nation

Bar-Am war schüchtern, die Kamera gab ihm die Gelegenheit, „näher zu treten, die Leute besser kennenzulernen“. Er spricht von einem „psychologischen Auge“, das im Fall Eichmann allerdings versagte. „Ich wollte etwas erkennen in seinem Gesicht“, erzählt der Fotograf, fand dort jedoch nur eine große Leere.

Er hielt auch die Tumulte im Gerichtssaal fest und die Auftritte der Zeugen, die mitunter bei der Schilderung ihrer KZ-Torturen in Ohnmacht fielen. Legendär wurden Bar-Ams Kriegsfotos, die ab dem Sinai-Krieg von 1956 entstanden und weltweit in Magazinen wie „Life“, „Paris-Match“ oder „Stern“ gedruckt wurden.

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„1341 Frames of Love and War“ ist auch ein Essay über die Frage, welche Wahrheit Fotos transportieren. Darüber entscheidet der Ausschnitt („Frame“), den sie zeigen – und der Kontext, in dem sie entstanden. Kriegsfotos werden schnell zur Propaganda, eindeutig sind die selten. Ein krasses Beispiel sind die Aufnahmen, die Bar-Am von israelischen Soldaten machte, die mit ihren Waffen posieren. Vor ihnen liegen Leichen von PLO-Kämpfern. Angeblich wurden sie bei einem Schusswechsel getötet, nachdem sie aus dem Hinterhalt angegriffen hatten.

Tote ohne Stiefel

Ehefrau Orna stellt scharfe Zwischenfragen: Warum tragen die Toten bloß Socken? Wieso liegen ihre Stiefel abseits auf einem Haufen? Starben sie tatsächlich im Kampf? Heute fühle er sich „unwohl“ mit diesen Bildern, sagt Bar-Am. Ähnliches gilt für die Fotos, die er schoss, als israelische Truppen 1967 im Sechstagekrieg den Tempelberg von Jerusalem einnahmen. 

Berühmt wurde die Rückenansicht eines Soldaten an der Klagemauer, der seinen Patronengurt wie ein Gebetstuch über die Schulter gelegt hat. Bar-Am missfällt die „Nähe von Gewalt und Glauben“, die das Foto ausdrückt. Heute würde er es vielleicht nicht mehr veröffentlichen.

[„1341 Frames of Love and War“ bei der Berlinale: Freitag, 18.2., 15 Uhr (Cubix 5 & 6)]

Du bist nur gut, wenn du nah genug dran bist“, hat Bar-Ams Magnum-Kollege Robert Capa gefordert. Bar-Am folgte diesem Credo, war mit seiner Kamera oft in vorderster Reihe. Er kam mit dem Leben davon, erlitt aber Schusswunden und war zwischenzeitlich so traumatisiert, dass er fast zum Alkoholiker wurde. „Ich habe geglaubt, dass meine Fotos helfen könnten, die Welt zu verbessern“, sagt er.

„Das war naiv. Fotos können nichts verändern.“ Eine bittere Bilanz. Um die Jahrtausendwende hat Micha Bar-Am aufgehört professionell zu fotografieren. Die letzten Bilder, die er veröffentlichte, entstanden in der zweiten Intifada. Sie zeigen Einschusslöcher auf Fassaden und überpinselte Parolen. 

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