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Kultur: Mit Drang zum Kult

WELTMUSIK

Gibt es noch sakrale Musik? Hatte nicht Beethoven schon darauf bestanden, dass seine „Missa Solemnis“ eigentlich gar nicht für die Kirche komponiert sei? Ja, kann man sakrale Musik überhaupt komponieren – muss sie nicht vielmehr entstehen, im zeitlosen Vollzug jenes Kultus, der Bedingung ihrer Existenz ist? Und lässt sich sakrale Musik, so man sie als solche ernst nehmen will, überhaupt aufführen, gar als Festival präsentieren, so wie es das Berliner Haus der Kulturen der Welt noch bis zum 16. Dezember mit buddhistischer, jiddischer, arabischer und christlicher Sakralmusik versucht (Infos unter hkw.de)? Die einem solchen Anliegen innewohnende Spannung wurde bei dem Konzert deutlich, zu dem im Rahmen des Festivals das russische Vokalensemble Anima und die Sc hola Gregoriana Pragensis in die Kreuzberger Passionskirche gekommen waren. Das grandios auftretende russische Ensemble präsentierte eine weniger religiöse denn ästhetische Darbietung; zu hören war (fast) keine im engen Sinne rituelle Sakralmusik, sondern „Kompositionen“, etwa von Tschaikowsky und Tschesnokow, die als Kunst verstanden werden wollen. Das Prager Ensemble hingegen, in Pseudo- Mönchskutten gekleidet, verlegte sich in seiner vokal nicht ganz sauberen Darbietung gregorianischer Choräle aufs Kreieren von sakraler Atmosphäre. Und da tritt auch die Gefahr eines solchen Festivals zutage: Jenseits eines kultischen Rahmens nämlich wird Sakralmusik, wenn sie nicht ästhetisch rezipiert wird, nur zum diffusen Medium atmosphärischer Beliebigkeit reduziert.

Christian Kässer

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