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Kultur: Mit fröhlicher Wut

Blumen blühen auf aus wassergefüllten Bierflaschen und machen einen Sandkasten zum Chrysanthemen-Paradies.An der Wand gegenüber sitzen Leute im roten Overall, mit blanklackierten Masken auf den Köpfen, in der Art dämlich nickender Zuschauer.

Blumen blühen auf aus wassergefüllten Bierflaschen und machen einen Sandkasten zum Chrysanthemen-Paradies.An der Wand gegenüber sitzen Leute im roten Overall, mit blanklackierten Masken auf den Köpfen, in der Art dämlich nickender Zuschauer.Lastwagen mit offenen Pritschen aus der Produktion der tapferen Industrievereinigung Fahrzeugbau (IFA) der DDR sind aufgefahren.Umzüge finden statt, Sprüche auf Bänken, an Bäumen und Wänden werben für dies und das, und auf einem verschämten Papierfetzchen steht geschrieben: "Tötet Schlingensief".Wo man auch geht und steht - es wird geredet, gebrüllt, geturnt, geleuchtet.Musikmaschinen laufen, Donnerschläge dröhnen durch den Abend, denn die Volksbühne feiert ihr viertes Praterspektakel: "Auch ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein." Auf dem Programm stehen, wenn ich richtig gezählt habe, 51 Veranstaltungen für 16 Örtlichkeiten, auf und unter der Erde, im Pratergebäude und überall außenherum.

Das Gesetz des Abends ist der Biergarten.Man kommt, man steht, man wartet, drückt sich auf Bänke, geht weiter, erkundet Keller, Treppen, Winkel, Bühnengehäuse aller Art, nimmt dabei Geräusche und Bewegungen wahr, oft ohne sie zuordnen zu können, und ist immer wieder im Freien.Bier wird pausenlos ausgeschenkt.Wer den richtigen Volksbühnen-Zettel in der Hand hat, weiß auch, worum es sich bei diesem vielstündigen Spektakel handeln soll: "Die Versuchsanordnungen im Prater spüren den Spielarten von Agitation und Propaganda im ausgehenden Kapitalismus nach." Nun ja, die Zuschauer müssen diesen "nachgehenden" Versuchsanordnungen eben selber hinterherlaufen, nicht sicher, wo gerade Verstehbares, Erlebnisversprechendes zu finden ist.Aber wer nur Bier trinken, nur Leute treffen will, ist im Pratergarten - allerdings zu einem Startgeld von fünfundzwanzig Mark - auch nicht schlecht aufgehoben.

Dem Kritiker begegneten etwa solcherlei Attraktionen: In der Unterbühne, zwischen Heizungsrohren, Rädern, technischem Mobiliar steht eine goldglänzende Harfe.Sie wird bezupft, und Frauen und Männer, aus der Tiefe des kleinen Raumes zwischen den Gestängen kommend, bereiten sich offensichtlich auf irgendetwas vor: Never Change a Winning Norma.Namen von Stars werden gerufen, Vokalisen gesungen, auch eine Arie bricht sich Bahn, und der berühmte grüne Frosch ist dabei.Sehnsucht nach Ruhm, ungestilltes Verlangen, Spielenwollen - vielleicht.Draußen verladen graugekleidete Saubermänner Müll auf ein gealtertes Ungetüm von Lastwagen ("Mehr Raum").Der Müll lebt, bietet Refugium und Versteck, bis mit dem aufgeklebten grünen Punkt alles sein Ende findet.Nicht bei Castorf, der von einer Lastwagen-Pritsche die "Grundlagen des Neokannibalismus" verkünden läßt.Nebenan geht es um Toller, Liebknecht und andere, an der Wand hinter dem schmalen Spielfeld steht der Spruch: "Die Gewalt geht" - weißer Fleck - "aus".Der Meinung waren die Akteure des Obdachlosen-Theaters Ratten 07 nicht.Sie spielten Faßbinders gnadenlose Klassiker-Zertrümmerung "Iphigenie auf Tauris von Johann Wolfgang von Goethe", aber diesmal lief ihnen das Spektakel aus dem Ruder.Der Versuch, Faßbinders fragmentarische Szenen noch einmal zu zerstückeln und dann wieder durch Selbsterfundenes aufzufüllen, endete in einem ungegliederten Durcheinander.Ein gegen alles gerichteter Protest zerstörte die Möglichkeit, aus der Inselsituation, dem Gefangen- und Ausgeliefertsein der Iphigenie Deutliches für die gegebene Situation der Obdachlosen mitzuteilen.Schade um Bernd Schneiders phantasievolles Bühnenbild: Lampenschirme auf schwankenden Stangen über einem durch weiße Federn angedeuteten Insel-Kreis.

Zumindest zwei Ereignisse aber hatte das Spektakel wirklich: Johann Kresniks choreographisches Theater "Schwanensee / Spartacus / Kommunistisches Manifest" auf der Freilichtbühne und das Stück "Zeitarbeit" von Steffen Thiemann auf der Hinterbühne.Kresnik arbeitete nicht mit Tänzern, sondern mit Volksbühnen-Mitarbeitern anderer Berufe, entlarvte bürgerlichen und revolutionären Kitsch mit der fröhlichen Wut des Künstlers, der Utopien nicht aufgeben will.Das hatte Tempo, brachte Texte von Artaud und Honecker auf skurrile Weise zusammen, fand unter geschwungener roter Fahne statt und endete mit dem in Flammen aufgehenden Staatswappen der DDR, zur Nationalhymne von Becher und Eisler.Auch Thiemanns "Zeitarbeit" hielt diese Balance zwischen Tragik, Komik und Hintersinn.Handlungsort ist das Wartezimmer im Arbeitsamt, oder bei einer anderen Behörde: Männer und Frauen erzählen, fast ohne Worte.Das war scharfsichtig beobachtet, präzise gespielt, witzig, einfallsreich, immer auf den Punkt gebracht.Und damit die Ausnahme im ausufernden Spektakulieren.

Heute übrigens ist die letzte Gelegenheit, im Prater zu lustwandeln und Spiele im halben Hundert zu genießen.Jeder kann sich sein Programm selber machen und dabei ganz andere als die hier beschriebenen Eindrücke gewinnen.Das Bier jedenfalls ist frisch.

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