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Kultur: Mit Masken mögen andere spielen

Erkämpfen, entdecken, bewahren: ein grandioser Abend mit dem Schauspieler Gert Voss in der Berliner Akademie der Künste

Immer an der Grenze der Verrücktheit muss sich der Schauspieler aufhalten, sagt Gert Voss. „Verlassen wir diesen Grenzbereich, sind wir tot". Anders als zu vermuten wäre, fehlt diesem Bekenntnis alles Aufgeregte. Von Voss geht vielmehr Ruhe aus, eine gespannte Aufmerksamkeit, Freundlichkeit, Neugier und eine Spur Kindlichkeit. Als Schauspieler ist er auf der Suche nach dem Rätselhaften im Menschen, er will Neues finden, mit einer geduldigen, intensiven Anstrengung. Dennoch soll das Theater leicht, federnd, spielerisch sein – „wenn Theater nicht im Augenblick funktioniert, ist es sinnlos und unfähig".

Blickt man auf die vielen Rollen zurück, die Gert Voss gespielt hat, scheint es, als habe er eine dunkle und eine helle Seite. Die dunkle beschreibt George Tabori: „Er ist ein gefährlicher, nackter Schauspieler, ein unheimlicher Clown, ein wilder Stier. Aus dem Käfig ausgebrochen in die Theaterwelt". Die helle offenbart sich, wenn Voss über sein Leben nachdenkt, als einer, dem Harmonie alles andere als fremd ist. Aber eine solche „Zweiteilung“ ist natürlich anfechtbar.

Voss selbst sieht sich als Entdecker, der auf der Bühne spielerisch und unbeschützt eine fremde Figur behaupten will. Und ist dabei bescheiden und anspruchsvoll zugleich. Denn sich selbst zu spielen, lehnt er ab – weil er dann wissen müsste, wer er ist. Aber wenn es ihm gelingt, die Figuren, die er spielt, in seinem Körper zu fühlen, dann ist er „mit drin“. Voss will „imaginieren“ und dem Publikum ins Herz spielen. Dabei bekennt er sich mit listiger Fröhlichkeit dazu, auf der Bühne alles machen zu können, was im Leben nicht möglich wäre.

Die Akademie der Künste widmete ihrem Mitglied Gert Voss am Wochenende einen bewegenden Abend, der von der Kraft des Theaters kündete – auf eine Weise, die nur noch selten zu erleben ist. Als Prolog war die Aufzeichnung der „Othello“- Aufführung im Wiener Akademietheater von 1990 zu sehen (Regie: George Tabori). Es folgte ein soeben fertiggestellter ORF-Film von Rose Kern, „Voss und die Suche nach der Zeit". Der vielfach ausgezeichnete Schauspieler auf einer Reise in die Vergangenheit? Nein, Gert Voss, 1941 als Sohn einer Kaufmannsfamilie in Shanghai geboren, wollte einfach noch einmal in die Stadt seiner Kindheit zurück, nach vielen Jahrzehnten. Nicht als der Gefeierte, sondern als der Suchende. Gibt es das Haus der Eltern noch, würde er es erkennen? Sind erste künstlerische Eindrücke, etwa von der chinesischen Oper, wieder heraufzuholen? Voss nimmt eine Maske dieser strengen Opernform in die Hände und erzählt, warum er für sein Spiel Masken nicht mag. Er will das „Voss-Gesicht“ bewahren, das alles intensiver leisten kann.

Dann ist er endlich auf der Bühne – und macht wieder etwas Ungewöhnliches. Er spielt ein ganzes Stück, Thomas Bernhards „Elisabeth II.“. Das hat zwar eine monologische Struktur, aber neben dem Helden, dem im Rollstuhl sitzenden Großindustriellen Herrenstein, noch weitere zehn Rollen. Voss spielt sie alle, liest die Regieanmerkungen – und stützt sich dabei auf die Inszenierung Thomas Langhoffs am Burgtheater Wien, die am 30. Mai Premiere hatte. Herrenstein ist einer der Bernhard-Charaktere an der Grenze hellsichtigen Wahns. Voss zaubert ihn hin, den wie im Zickzack huschenden, jede Aussage gleich ins Gegenteil verkehrenden Text mit Genuss auskostend.

Zum Abschluss ein Gespräch zwischen Gert Voss und Thomas Langhoff, moderiert von Hans-Dieter Schütt. Es ist ein Gespräch mit dem leidenschaftlichen Bekenntnis zum Theater. Langhoff: „Wir sind mit Wucht auf den gemeinsamen Gegenstand losgegangen, es hat Spaß gemacht". Und Voss lobt Langhoffs Genauigkeit im Umgang mit der Sprache. Aber hier tauschen zwei Künstler nicht etwa nur Komplimente aus. Sie sind sich in Ansichten und Absichten begegnet.

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