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Pianist Menahem Pressler (16.12.1923 - 6.5.2023)

© Marco Borggreve

Mit Mozart fliegen: Zum Tod des Pianisten Menahem Pressler

Mit dem Beaux Arts Trio wurde der gebürtige Magdeburger weltberühmt. Spät im Leben begann er noch eine Solokarriere.

Von Kirsten Liese

Wenn ein Musiker noch im hohen Alter auf dem Konzertpodium seinen eigenen hohen Ansprüchen gerecht werden kann, ist das eine große Gnade. Menahem Pressler war ein solcher Ausnahmekünstler. Am 16. Dezember 1923 wurde er in Magdeburg geboren, mit Anfang 90 gab er sein Debüt als Solist der Berliner Philharmoniker, als Gründer des legendären Beaux Arts Trios schrieb er in der Kammermusik Geschichte. 

Wirtschaftliche Nöte vor allem in den Anfängen des Trios, mit dem sich bis zum internationalen Durchbruch schwer eine Existenz bestreiten ließ, sowie so manche Streitigkeiten mit den Kollegen gehörten zu diesem Leben auch dazu.

Und doch überwog in der langen, erfolgreichen, an die acht Jahrzehnte währenden Laufbahn das Glück, dies vor allem in den entscheidenden Jahren seiner Jugend. Drei Wochen bevor Deutschland in den Zweiten Weltkrieg ging, machte der damals 16-Jährige mit seiner jüdischen Familie in Italien Urlaub und reiste von dort aus zwei Wochen später nach Israel, wo er vor Hitler in Sicherheit war.

Eine bewusste Flucht vor den Nazis war dies nicht, rückblickend sprach Pressler von einem denkwürdigen „Zufall“. Sein Heimatgefühl für Deutschland verließ ihn gleichwohl nicht. Immer wieder kehrte er in späteren Jahren gerne nach Berlin zurück und erachtete es als „Geschenk“, in Deutschland zu spielen, und „dass Deutschland mich hören will“.

Überwiegend freundlich

Es war für mich ein großes Geschenk, dass ich 2011 die große Chance erhielt, den Pianisten über sein Leben befragen zu dürfen. Ich hatte Pressler zuvor nur auf Meisterkursen erlebt. Im Ton blieb er zwar immer ruhig und überwiegend freundlich, aber konnte jemand seine hohen Ansprüche nicht einlösen, war doch ein gewisser Missmut bei aller Subtilität nicht zu überhören.

Wer aber lernbegierig war und zu schätzen wusste, aus welchem reichen Erfahrungsschatz dieser Mann zu schöpfen wusste, wurde reich belohnt.

Berühmt wurde Pressler vor allem als Gründer des legendären Beaux Arts Trios, zu dessen erster Formation der Geiger Daniel Guilet und der Cellist Bernard Greenhouse zählten. Mozart, Beethoven, Schubert und Brahms waren ihre Götter, und Presslers Art des Musizierens war schon damals unverkennbar: Während Greenhouse meist kerzengerade am Cello saß, wandte sich Pressler nahezu permanent immer wieder mit Kopf und gebeugtem Oberkörper seinen Kollegen zu und kroch dabei nahezu in die Tastatur hinein, souverän über den Notentext erhaben, den er sowieso auswendig konnte, suchte er stets den Blickkontakt der Kollegen.

Eben darin drückte sich auch die hohe Kunst der Kammermusik in seinem Verständnis aus: „Wenn du ein guter Kammermusiker bist, hörst du jeden. Dann wird das Ich zum Wir, dann treten das eigene Ego und jedweder Narzissmus hinter der Musik zurück“, sagte er. Und spielt ein Cellist, Bratscher oder Geiger „eine Phrase besonders schön und elegant, dann freust du dich und denkst, ich kann sie noch schöner spielen, und versuchst es auch“. Meistens gelinge das zwar nicht, aber „was an Schönheit dabei herauskommt, ist gemeinsam, und das ist etwas Wunderbares!“.

Wie sein Kollege Gidon Kremer, den er oft in Kronberg traf, wo sie unterrichteten und zusammen musizierten, hatte Pressler eine sehr große Liebe fürs Detail und genau den richtigen Instinkt, wie etwas klingen muss. Häufiger vermisste er die Sensitivität bei den jungen Kolleginnen und Kollegen am Klavier, die sich in technischer Perfektion präsentierten, aber eben doch emotional offenbar nicht bis zu den tiefsten Schichten etwa der Schubert’schen Musik vorzudringen vermochten.

Seine schönsten weisen Worte in unseren Interviews hat Pressler über Mozart gefunden. Sie gehen mir von Zeit zu Zeit immer wieder durch den Kopf: „Ohne Mozart gehen wir zu Fuß, aber mit Mozart können wir fliegen.“ Am 6. Mai ist der Pianist in London im Alter von 99 Jahren gestorben.

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