zum Hauptinhalt

Kultur: Moderne en miniature

Die Bildhauerin und Kippenberger-Schülerin Ina Weber schrumpft Bauten im Haus am Waldsee. Außerdem erweist sie sich als eine wunderbare Zeichnerin.

Vor der Eröffnung legt Ina Weber gerne selbst noch einmal Hand an. Ein Primelblütenblättchen hat sich quergestellt, die Künstlerin zupft es ordentlich in Form. Akkuratesse muss sein in dieser hyperrealistischen Inszenierung von stinknormalem Fußgängerzonen-Mobiliar, wie es in jeder deutschen Klein- und Großstadt zu finden ist. Ina Weber hat es gleich im ersten Raum ihrer Ausstellung „Hier“ im Haus am Waldsee arrangiert – mit Blumenbeeten in Betonschalen, einer Straßenlaterne, einem orangefarbenen Mülleimer und einer roten Sitzbank.

Die 48-Jährige schaut mit amüsiertem Blick auf Bausünden und architektonische Banalitäten. Zugleich nimmt sie utopische Ideen ernst. Was ist aus ihnen geworden? Die Berliner Künstlerin interessiert sich seit mehr als 15 Jahren für „dienende Architektur“, so nennt sie Casinos, Dixie-Klos, Container, Wohnblöcke, Kioske, die sonst im Stadtbild untergehen. Isoliert stellt Ina Weber sie dem Ausstellungsbesucher vor die Nase: als Betonguss oder Keramik in Miniaturformat. Städtebaulicher Größenwahn wird eingedampft. Baukunst kann man Webers Verfremdung nennen, aber nicht die originalen Vorlagen. Da ist schon viel Hässliches dabei. Im Haus am Waldsee ist die Bildhauerin mit ihren Arbeiten bereits eine alte Bekannte. Im Garten hat sie 2010 eine Minigolf-Anlage installiert. Dort schießt man die Bälle durch Bauruinen, Brücken und Pavillons hindurch.

Andere architektonische Vorlagen werden von der gebürtigen Rheinland-Pfälzerin nur auf Menschengröße geschrumpft. Das wirkt besonders irritierend, denn die Bauten scheinen zwar unwirklich und sind doch räumlich erfahrbar. Eine Fünfziger-Jahre-Tankstelle mit geschwungenem Dach und gerundeten Fenstern klemmt förmlich im Ausstellungssaal. Man kann sie sogar mit geducktem Kopf betreten.

Anfang der Neunziger hat Ina Weber unter anderem bei Martin Kippenberger an der Kunsthochschule Kassel studiert, später in Frankreich und Großbritannien gelebt. In der englischen Küstenstadt Brighton entdeckte sie jene Bushaltestellen, die als Modelle nicht nur hübsch anzuschauen sind, weil sie so oval und schmal anders aussehen als die hiesigen. Sie sagen auch viel über den Ort aus, an dem sie stehen: Rundum verglast schützen sie die wartenden Passagiere vor Wind und Wetter am Ärmelkanal. Ina Webers Installationen und Plastiken sind also keine maßstabgetreuen Architekturmodelle, sondern Symbole. Zum Beispiel für schlechtes Wetter.

Auch ihre Zeichnungen, wachsig anmutende Aquarelle auf durchscheinendem Pergamentpapier, verweisen auf Größeres. Etwa die Arbeiten über die Müllsammler von Schanghai, die Ina Weber in den Nebenstraßen der chinesischen Metropole entdeckte. Die leidenschaftliche Flaneurin treibt sich lieber auf abgelegenen Wegen herum als auf Hauptverkehrsadern. Berge von Abfällen, Kartons und Säcken türmen sich kunstvoll auf Fahrradanhängern. Das allein ist für die Künstlerin schon von faszinierender bildhauerischer Qualität. Doch je länger sie die Sammler beobachtete, desto besser verstand sie das urbane Verwertungssystem, jenseits der offiziellen Müllabfuhr. Der Abfall wandert als Verkaufs- oder Tauschware durch mehrere Hände, von der Concierge eines Wohnhauses über die Sammler, die meist aus der Provinz in die Stadt ziehen, bis hin zu selbstorganisierten Recyclingstellen.

Leiser Humor ist in der Serie über Wien zu spüren. Die Häuser der Werkbundsiedlung, in den dreißiger Jahren ein architektonisches Manifest für neues Wohnen und schlichte Formensprache, sind umgeben von schmiedeeisernen Gartentürchen und engmaschigen Zäunen. Neben dem im Bauhausstil errichteten Haus Wittgenstein aus den Zwanzigern befindet sich heute eine hässliche Tiefgarageneinfahrt. Alles verspießert. Anna Pataczek

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, bis 1. April; Dienstag bis Sonntag 11-18 Uhr. Katalog 24 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false