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Rückkehr des Mittelalters. Der zeitgenössische Stich einer Hexenverbrennung in Dernburg 1555. Foto: picture-alliance/dpa

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Kultur: Moderne Verhörmethoden

„Primitiv, unmoralisch, barbarisch“: Zwei Bücher über die Folterpraxis im 21. Jahrhundert.

Von Anna Sauerbrey

Das erste Interview mit einem Folteropfer führte der spätere UN- Sonderbeauftragte für die Folter, Manfred Nowak, Ende der 70er Jahre. Damals sprach er mit einem Linksaktivisten in Chile, der vom Geheimdienst Pinochets verhaftet worden war. Nowak berichtet, dass er das Interview abbrechen musste, um sich zu übergeben: „Ich konnte es physisch und psychisch nicht ertragen, mich in seine Leiden und Qualen wirklich hineinzuversetzen.“

35 Jahre später hat Nowak, der seinen Magen über Jahre in zahlreichen Einsätzen für die Vereinten Nationen am Elend in den Arrestzellen und Kellerverliesen der Welt stählen sollte, seine Erfahrungen in einem Buch zusammengefasst. Ein Buch, das auch 2012 nichts von seiner grausigen Aktualität und Relevanz eingebüßt hat, im Gegenteil. Zeitgleich erscheint auf Deutsch das Buch des langjährigen amerikanischen CIA-Agenten Glenn L. Carle. Carle wurde Ende 2002 beim Verhör eines vermeintlichen Mitglieds von Al Qaida als „Interrogator“ eingesetzt, so auch der Titel.

Bücher über die Folter, daran erinnern Carle und Nowak, können in der westlichen Welt des Jahres 2012 nicht mehr gelesen werden mit dem wohligen Schaudern des Unbeteiligten. Folter ist nicht mehr jene rückständige Praxis in korrupten und brutalen Ländern, auf die die westlichen Demokratien ohnehin herabblicken. Sie ist nicht mehr nur die ferne Erinnerung an das Chile unter Pinochet. Beide Bücher können daher auch als Teil eines Aufarbeitungsprozesses gelesen werden, in dem sich der Westen mit seiner eigenen, jüngeren Foltergeschichte auseinandersetzt, mit den Traumata des „Krieges gegen den Terror“, von Abu Ghraib und Guantanamo. Folter, das zeigen beide Bücher auf unterschiedliche Weise, kann unter bestimmten Bedingungen auch in der Mitte von Demokratien jederzeit wieder Praxis werden.

Glenn L. Carle ist kein Erzähler, sondern Bürokrat, ein Mann, der sich auch nach Jahrzehnten noch an den einen Moment erinnert, an dem einmal alle über einen seiner Witze gelacht haben. Das ist für den Leser oft ermüdend, macht aber auch den Erkenntniswert dieses Berichts aus. Carles eigene Geschichte zeigt den Umsetzungsprozess, in dem aus den Anweisungen, die die Politik in den Behördenapparat der Geheimdienste einspeist, am Ende Folter wird. Er zeigt, wie es kam, dass Agenten wie er selbst, der sein Leben außerhalb der CIA als das eines biederen amerikanischen Familienvaters beschreibt, die Liste der Verhörmethoden anwandten, die der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nach den Anschläge des 11. September freigegeben hatte. Folter erscheint hier als die logische Folge einer Zielvorgabe – sowohl im Rahmen eigener Aufstiegswünsche innerhalb einer Hierarchie als auch im Überlebenskampf des Apparats.

Als Carle den Auftrag erhält, in einem Geheimgefängnis in Marokko einen Gefangenen zu verhören, ist er beruflich beinahe am Ende. Seine Frau ist alkoholkrank, dem privaten Stress schreibt er es zu, dass er mehrere Dienstvergehen begangen hat. Dementsprechend entschlossen ist er, die Mission zum Erfolg zu führen. Hinzu kommt die Wut nach den Anschlägen von New York und Washington: „Ich wollte diesen Hurensohn verhören … Wir alle wollten das.“ Den Agenten wird darüber hinaus Rechtssicherheit zugesagt. Über den Chef des Geheimgefängnisses „Hotel California“ schreibt Carle: „Sein Job war es, die Mittel im Kampf gegen den Terror einzusetzen. Er diente unter schwierigen Bedingungen seinem Land. Er dachte nicht weiter.“

Auf jene Rechtssicherheit will sich die CIA unter den neuen politischen Bedingungen heute wohl nicht mehr verlassen, auch wenn die USA unter Obama von einer strafrechtlichen Aufarbeitung ihrer Folterpraxis weit entfernt sind. Carles Buch hat einen „Clearing-Prozess“ der CIA durchlaufen, es bleibt daher seltsam vage: Weder wird deutlich, wo es spielt, noch werden Gesprächsinhalte wiedergegeben. Auch die Folter bleibt vergleichsweise abstrakt, wiedergegeben wird nur die ohnehin bekannte Liste der von Rumsfeld genehmigten „Verhörmethoden“. An keiner Stelle bekennt der Autor, sie selbst angewandt zu haben.

Dechiffriert haben das Buch amerikanische Journalisten. Deren Recherchen fasst der Verlag im Anhang zusammen: Bei dem Gefangenen handelt es sich um den afghanischen Staatsbürger Haji Pacha Wazir, der 2002 in Dubai von der CIA entführt wurde. Der CIA galt er als der „Banker bin Ladens“. Insgesamt saß Wazir siebeneinhalb Jahre in Haft, ohne dass man ihm nachweisen konnte, überhaupt Mitglied von Al Qaida zu sein. Wazir wurde zunächst in einem geheimen Gefängnis in der Nähe der marokkanischen Hauptstadt Rabat festgehalten, später auf dem Gelände einer verlassenen Ziegelei in der Nähe von Kabul.

Carles Buch lässt die Logik der Täter verständlicher werden, das Leiden seines Opfers aber bleibt ebenso abstrakt wie die Verhörsituation. Umso lohnender ist die parallele Lektüre von Nowaks Buch. Gerade die Länderberichte im zweiten Teil des Buches bieten ein brutales Panoptikum der unendlichen Vielfalt systematischer Gewalt, vom „Verschwindenlassen“ über den Frauenhandel, von schierer Gewalt bis zur Internierung in psychiatrischen Anstalten. Nowak scheut sich auch nicht, in kühlen Worten die unterschiedlichen Methoden der Folter zu schildern.

Auf sehr unterschiedliche Art wollen beide Bücher auf eine Ächtung der Folter hinwirken. Während Nowak die Perspektive der Opfer einnimmt und mit den bereits geltenden Standards des Völkerrechts argumentiert, ist das wichtigste Argument für Glenn Carle, den Praktiker, die Vergeblichkeit der Folter. Er schreibt: „Folter ist primitiv, unmoralisch, barbarisch – und funktioniert nicht.“

Beide Bücher machen gleichzeitig wenig Hoffnung darauf, dass diese Ächtung bald gelingen wird. „Ich habe mich oft gefragt“, schreibt Nowak, „wie es im 21. Jahrhundert möglich ist, dass diese archaische und völlig irrationale Methode der Wahrheitsfindung im Strafprozess so weit verbreitet ist.“ Ein Grund ist aus Nowaks Sicht die Verzweiflung, mit der Justizsysteme unter Erfolgsdruck versuchen, sich den Anschein von äußerster Entschlossenheit zu verleihen. Weil sie schlicht ineffektiv sind, oder weil sie, wie im Fall der USA, unter politischen Druck stehen.

Dieser Erfolgsdruck, das wird deutlich, kann jederzeit wieder entstehen, auch in Europa. Nowak widmet ein Kapitel der Situation von Flüchtlingen, die zu Hunderten Nacht für Nacht den Evros in Nordgriechenland überqueren und unter grenzwertigen Bedingungen in den Zellen der griechischen Grenzkontrollposten eingepfercht werden. Die Flüchtlingsströme, das impliziert der Bericht, könnten nach 9/11 die nächste Prüfung für die westliche Humanität werden.

Glenn L. Carle: Interrogator. In den Verhörkellern der CIA. Rowohlt Verlag, Reinbek 2012. 448 Seiten, 22,95 Euro.

Manfred Nowak: Folter. Die Alltäglichkeit des Unfassbaren. Kremayr & Scheriau, Wien 2012. 239 Seiten, 22 Euro.

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