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Kultur: Montag links oben: Mit Sven zur 1. Mai-Demo

Morgen, am 1. Mai, habe ich schulfrei.

Morgen, am 1. Mai, habe ich schulfrei. Darum fahren Sven und ich mit dem Zug nach Berlin. Da soll eine Demo stattfinden. "Obwohl die verboten ist!" sagt Sven. Aber ganz sicher ist er sich auch nicht. "Ist aber auch egal!" meint Sven. "Die Demo findet trotzdem statt. Erst recht, wenn irgendwelche Politiker die verbieten wollen!" Er sagt: "Dann demonstrieren wir eben gegen die Politiker!" Mir ist eigentlich egal, wogegen wir demonstrieren. Hauptsache, die Schule fällt aus, und Sven und ich fahren nach Berlin.

Ich war noch nie in Berlin. Sven war letztes Jahr schon mit dabei. Da war die Demo aber noch nicht verboten. Sven meint: "Das war so geil! Wir haben mit Steinen auf die verpennten Bullen geschmissen! Dieses Jahr schmeiße ich auch wieder mit Steinen auf die Bullen!" Ich weiß noch nicht, ob ich die Polizisten mit Steinen bewerfe. Aber Sven meint: "Natürlich beschmeißt du die Bullen mit Steinen! Darum fahren wir doch nach Berlin, du Penner!"

Zum Thema Online Spezial: Sind die Krawalle zum 1. Mai unvermeidbar? Sven und ich drücken unsere Gesichter gegen die Fensterscheibe. Draußen ist es dunkel. Es regnet, und ich habe keine Ahnung, wo wir heute Nacht schlafen. Aber Sven sagt: "Mach dir nicht in die Hose, Milchzahn! Wir pennen am Bahnhof Zoo. Da pennen ganz viele, die morgen auf die Demo wollen!" Mir ist das recht. Hauptsache, ich schlafe nicht zu Hause. Dann kann ich später in der Schule erzählen: "Ich hab am Bahnhof Zoo geschlafen!" Sven sagt: "Denen brauchst du hinterher gar nichts mehr zu erzählen. Wenn du nach Hause kommst, hast du ein blaues Auge und bist ein anderer Mensch!" Ich weiß nicht genau, was Sven damit meint. Ich habe keine Ahnung, was morgen passiert, und ob ich ein blaues Auge haben möchte. Darum bin ich irgendwie aufgeregt. Meine Hände sind kalt. Und feucht. "Morgen gibt es Bürgerkrieg!", hat Sven vorhin gerufen und ist plötzlich von seinem Sitz aufgestanden. Er hat mich an meinem Jackenärmel gezogen und gemeint: "Komm mit, Milchzahn! Bevor die Schlacht losgeht, müssen wir noch dafür sorgen, dass jeder sieht, auf welcher Seite wir kämpfen!"

Ich wusste überhaupt nicht, was Sven damit meint. Darum bin ich ihm einfach den Gang entlang gefolgt. Das war gar nicht so leicht, weil da eine ganze Menge Leute auf dem Boden sitzen. Die haben alle keinen Sitzplatz mehr abbekommen. So voll ist der Zug. Als wir hintereinander über die vielen Beine gestiegen sind, hat Sven jeden mit Handschlag begrüßt und aus einer fremden Bierdose getrunken. Ich bin gestolpert. Sven hat ganz laut gelacht: "Unser Freund ist das erste Mal dabei!" Die Leute auf dem Gang haben auch gelacht und mir zugeprostet. Am liebsten wäre ich schnell wieder im Abteil verschwunden. Aber Sven hat mich einfach geschnappt, in die Toilette geschubst und die Toilettentür hinter uns zugemacht. "Die Jungs da draußen schlafen heute Nacht auch alle am Bahnhof Zoo!"

Scheinbar kennt Sven viele noch vom letzten Jahr. "Wer einmal auf der 1. Mai-Demo war, kommt immer wieder!", sagt Sven. "So eine Demo verbindet!" Ich bin froh, dass Sven mein Kumpel ist. Ohne Sven wäre ich eben nicht auf dem Weg nach Berlin. Auch, wenn ich dafür jetzt grüne Haare habe. Vorhin, auf der Toilette hat Sven nämlich plötzlich diese Sprühdose mit grüner Farbe aus seinem Hosenbund gezogen und gemeint: "Halt dir die Augen zu!" Und schon hat er meinen Kopf vollgesprüht. Danach war sein Kopf dran. Nun sitzen wir wieder im Abteil und haben grüne Haare. Genau wie die Leute draußen auf dem Gang. Und überhaupt die meisten Leute hier im Zug. Sven sagt: "Autonome haben immer grüne Haare!" Mir ist das recht.

Blöd ist nur, dass er die Wand in der Toilette gleich noch mit besprüht hat. Ich habe noch versucht, die Farbe mit feuchtem Toilettenpapier abzuwischen. Das ging aber nicht mehr. Sven hat mich geboxt und gemeint: "Lass den Scheiß, du Penner! Was meinst du, was morgen noch alles in die Brüche geht!"

Am 1. Mai ist das in Berlin wohl so üblich, alles kaputt zu machen. Und Das stört scheinbar niemanden. Sven meint: "Das war halt schon immer so! Einmal haben die sogar einen ganzen Supermarkt abgefackelt!" Nur die Politiker haben etwas dagegen. Darum versuchen sie auch, die Demo zu verbieten. "Sollen die doch! Es ist sowieso viel geiler, eine Demo zu machen, die verboten ist!" Ich glaube, Sven hat Recht. Wir lassen uns nichts verbieten. Wir demonstrieren gegen die Politiker und beschmeißen die verpennten Bullen mit Steinen.

Alexa Henning von Lange[schrieb zuletzt \"Mai], 27[schrieb zuletzt \"Mai]

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