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Ein Dostojewski-Monument in Kaliningrad

© imago images/ITAR-TASS

Dostojewski und Edgar Allan Poe: Mörder, einfach so

Dostojewski hat immer auch die Geschichten anderer Autoren herausgegeben - darunter die von Edgar Allan Poe, der auch seine Romane beeinflusste.

Zwei Giganten haben jetzt ihr Jubiläum, und beide kamen mit einem herbstlichen Schnapszahldatum zur Welt. Am 11. 11. wurde gerade Fjodor Dostojewskis 200. Geburtstag gefeiert, und am 12. 12. folgt der zweihundertste von Gustave Flaubert. Beiden übrigens war, neben dem psychologischen Realismus, auch das Spirituelle, Spukhafte, Romantische nicht fremd.

Aus der Fülle aktueller Literatur von und zu diesen Jubilaren ist mir nun ein schon vor drei Jahren erschienenes Bändchen wieder in die Hände geraten. Es spiegelt Dostojewski auf besondere Weise. Denn der russische Dichter, ein hoch belesener Geist, hat gelegentlich auch Geschichten anderer Autoren herausgegeben, die für ihn und sein Schreiben von Bedeutung waren.

So 1861, also vor 160 Jahren, in der Zeitschrift „Vremja“ („Die Zeit“) drei Erzählungen des damals schon verstorbenen Edgar Allan Poe. Sie finden sich in der schön wie mit expressionistischen Farbholzschnitten von der Berliner Künstlerin Kat Menschik illustrierten Sammlung Edgar Allan Poe „Unheimliche Geschichten. Ausgewählt von Fjodor Dostojewski“ (Galiani Verlag, Berlin 2018, 94 Seiten, 18 €.).

Beide schätzten die Dichter der Romantik, vor allem E.T. A. Hoffmann

Es sind die erstmals zwischen 1839 und 1843 publizierten Erzählungen „Das verräterische Herz“, „Der schwarze Kater“ und „Der Teufel im Glockenturm“, die Steffen Jacobs vorzüglich neu übersetzt hat – nur ein simples Beispiel, der „Glockenturm“ („Belfry“) figurierte früher zumeist noch als „Glockenstuhl“.

Während die Teufelsgeschichte mehr eine wortspielerische Satire auf ein holländisches Fantasiedorf namens Wunderwilkesseitiss ist, eine Schildbürgerei mit leicht kafkanischem Einschlag, gehören die beiden erstgenannten Stories zu den kleinen gruseligen Meisterwerken aus der Zeit, in der Poe auch den „Doppelmord in der Rue Morgue“ und „Die Maske des roten Todes“ verfasste (was als Information dem Büchlein gut getan hätte).

Interessant im Zusammenhang mit Dostojewski ist nun das von Alexander Nitzberg übertragene kurze Nachwort Dostojewskis. Dieser schätzte ebenso wie der gut ein Jahrzehnt ältere Poe die Dichter der Romantik, vornehmlich die Prosa E. T. A. Hoffmanns.

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Wobei Dostojewski als scharfsinniger Leser wiederum die Unterschiede zwischen Poe und Hoffmann beschreibt. Für ihn „personalisiert“ Hoffmann „die Kräfte der Natur in Bildern“, er „führt in seinen Erzählungen Zauberinnen und Geister ein und sucht zuweilen sein Ideal außerhalb des Irdischen“.

Anders als bei Hoffmann, den Dostojewski als überlegenen Stilisten bezeichnet, erkennt er bei Poe dagegen eine mit der Empirie spielende Imagination. Poe suggeriere, dass das Übernatürliche, etwa eine mithilfe des Galvanismus zum Leben erweckte Mumie, auf gleichsam naturwissenschaftlichen Grundlagen beruhen könnte.

„Ist Poe phantastisch, dann auf eine irgendwie materielle Weise…“, und darin falle auf, „dass er durch und durch Amerikaner ist“. Wobei man anmerken darf, dass der in seiner Jugend in England erzogene Poe neben E. T. A. Hoffmann auch den fabelhaften britischen Realismus eines Charles Dickens zu schätzen wusste.

Man ist ganz nahe bei Raskolnikow

Indem Dostojewski mit dem „Verräterischen Herz“ und dem „Schwarzen Kater“ zum Beweis seiner Thesen jeweils die ebenso detaillierte wie zugleich von klinischem Wahnsinn geschlagene Beichte eines Mörders auswählt, ist er natürlich auch den Personen seiner eigenen Romane nahe.

Die Ich-Erzähler in beiden Geschichten schildern psychologisch frappierend ihre eigentlich sinnlosen, jähen, von der schieren „Plötzlichkeit“ (wie es der kürzlich verstorbene Karlheinz Bohrer nannte) bestimmten Morde. Besonders toll, wie im „Verräterischen Herz“ der Ekel nur auf ein Auge des ansonsten geschätzten Opfers die Tat auslöst.

Der Leser ist hier zugleich nah bei Dostojewskis Raskolnikow aus „Verbrechen und Strafe“, vormals bekannt unter dem schöneren Titel „Schuld und Sühne“. Es ist ein Motiv der modernen Literatur, von Camus bis Simenon – und es trifft zwischen Amok und Attentat immer wieder auch unsere Realität.

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