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Kultur: Mozart für Hunde

Gastspiel in Berlin: Der Theater-Magier Alain Platel über „Wolf“, Kunstpausen und sein Comeback

Der belgische Regisseur und Choreograf Alain Platel, 1956 in Flandern geboren, stürmte mit seinen Kreationen „Iets op Bach“ und „Allemal Indiaan“ vor ein paar Jahren die europäische Szene – und dann trat er ab. Nach einer längeren Kunstpause kehrt er mit „Wolf“ zurück, einem TanzTheater über Mozart, Hunde und Politik. Berliner Premiere ist morgen in der Volksbühne, weitere Vorstellungen am 5., 7. und 8. Juni.

Sie haben auf der Höhe des Erfolgs der Bühne den Rücken gekehrt. Sie wollten in Südfrankreich ein Hotel eröffnen. Was ist passiert?

Ich hatte vor drei Jahren das Gefühl, vom Kulturbetrieb verschlungen zu werden. Ich brauchte Abstand, Ruhe, Konzentration. Viele haben mir gesagt, dass ich niemals aufhören würde, und ihr hattet Recht. Denn als ich dann wirklich aufhörte, vermisste ich die Proben unendlich, vermisste das Abenteuer, die Leute zusammenzubringen und gemeinsam etwas zu erschaffen. Drei Jahre habe ich kein neues Stück gemacht, und das hat mir geholfen, meine Situation klarer zu sehen. Dann habe ich Entscheidungen getroffen, die sehr wichtig waren: dass ich mir das Recht nehmen werde, nach einer Produktion zu entscheiden, ob ich mit der nächsten in fünf Monaten beginne oder in drei Jahren. Ich will einfach nicht mehr in diesen Abhängigkeiten gefangen sein, die mir die Freude an der Arbeit verderben.

Und was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?

I ch habe vieles gemacht, was nichts mit Theater zu tun hat, zum Beispiel die Taubstummensprache gelernt.

Das Mozartprojekt „Wolf“ war ein Vorschlag von Gerard Mortier für die Ruhr-Triennale. Was hat Sie schließlich dazu gebracht, zuzusagen?

Ich konnte zunächst nicht viel mit Mozarts Musik anfangen – das darf man ja gar nicht laut sagen, aber so war’s. Ich war gespannt darauf, ihn zu entdecken .

Sicher war es auch nicht leicht, all die Künstler, die sich vorher nicht kannten, zusammenzubringen und zu einer Kompanie werden zu lassen.

Ich bin eine Hausfrau. Ich möchte es immer schön für alle machen, spül das Geschirr, koche Kaffee und räume auf, damit sich jeder wohlfühlt. Sechzig Prozent meiner Arbeit besteht darin, die richtige Atmosphäre zu schaffen, damit die Tänzer kreativ werden können. Das ist für mich ebenso wichtig, vielleicht sogar wichtiger, als das Material zu erschaffen. Wir haben fünf Monate geprobt, sehr intensiv und sehr intim .

Nach den Aufführungen bei der Ruhr-Triennale spielt ihr jetzt in Berlin an der Volksbühne, dann in Avignon, das sind drei sehr unterschiedliche Orte. Das Volksbühnen-Publikum wird sicher anders reagieren als das Duisburger. Dort haben sie bei der Szene, wo Fahnen verbrannt werden, gebuht, in Berlin gibt’s vielleicht Applaus.

Eine meiner Obsessionen ist die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Identität und Nationalität eines Menschen. Unsere Gruppe ist ja sehr bunt gemischt, und als ich die Tänzer fragte, was ihnen ihre Nationalität bedeutet, da haben sie zunächst mal alle gesagt: Ach, die ist nicht so wichtig, wir sind Weltbürger. Aber als wir dann Nationalhymnen benutzt haben, zusammen mit der Musik aus „Figaro“, da wurde es dann doch sehr emotional. Ich kenne das Gefühl von mir selbst, es ist sehr widersprüchlich.

Ist es das, was man mangels eines besseren Begriffs als Globalisierung bezeichnet?

J e kleiner und einheitlicher die Welt wird, desto mehr suchen wir alle nach etwas, mit dem wir uns identifizieren können. Ich glaube, wir alle suchen irgendwie nach einer Community, zu der wir gehören. Die Familie ist es nicht mehr, die Stadt oder die Nation ist es nicht, in Europa auch nicht die Religion oder eine politische Partei. Für die meisten Menschen ist die Sehnsucht, Teil einer Community zu sein stärker als die Sehnsucht nach persönlicher Freiheit, sie sind sogar bereit, einen Teil ihrer persönlichen Freiheit zu opfern für das Gemeinschaftsgefühl. Das war der Ausgangspunkt für uns. Wir beschlossen, eine Szene zu machen, in der man sieht, wie Leute mehr und mehr in den emotionalen Trip hineingeraten, und die darin gipfelt, eine Fahne zu verbrennen. Ich entschied mich für die extremste Form, das auf die Bühne zu bringen, indem ich zwei Fahnen verbrennen lasse, die für sehr ausgeprägte Ideen stehen, die amerikanische und die israelische. Aber viel wichtiger ist ist die Szene danach, „L’ho perduto“ aus „Figaro" mit dem Solo dazu: dass wir etwas verloren haben, und dass wir diese Leere nicht füllen können.

Sicher hat auch der Umstand mit hereingespielt, dass die Proben zu „Wolf“ in der Zeit der Vorbereitungen zum Irakkrieg stattfanden.

Ja, und auch meine persönlichen Erlebnisse in Palästina, wo ich zuvor mehrere Male war. Ich hoffe sehr, dass die Zuschauer verstehen, dass die Fahnen für autoritäre Regimes stehen, mit denen wir nicht einverstanden sind, und nicht für die jeweiligen Völker.

Eine Frage zu den Sängerinnen: Es ist wirklich bewundernswert, auf was die sich einlassen bei dieser Arbeit. All die unvorhersehbaren Dinge, dass plötzlich ein Hund an ihnen schnüffelt mitten in der Arie. Wie haben Sie das den Künstlern vermittelt?

Die Sängerinnen waren von Beginn der Proben an auf alles gefasst. Es war eine sehr emotionale Arbeit, weil sie nicht ausstehen konnten, was um sie herum passierte und wie ihre Arien dadurch gestört wurden und weil sie die Musik dadurch neu entdeckten. Das hat sie so aufgewühlt, dass sie manchmal nicht mehr singen konnten. Sie mussten ihre traditionelle Verbindung zu der Musik aufgeben. Das ist eine extreme Erfahrung.

Das Gespräch führte Renate Klett.

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