zum Hauptinhalt
Carla Bruni

© Edel

Musik: Du bist mein Stoff

Frankreich steht Kopf: Carla Bruni veröffentlicht ihr drittes Album - und entfesselt einen medialen Orkan. Ein Text hat sogar zu diplomatischen Verwicklungen geführt. Können die Franzosen die Songs der Präsidenten-Gattin noch unbefangen hören?

Comme si de rien n’était... So heißt das neue Album von Carla Bruni, und es klingt wie ein Paradox oder ein schlechter Witz. Als ob nichts wäre… da denkt man, die neuesten Chansons einer ihres Talents wegen geschätzten französischen Künstlerin seien ganz normal und wie nebenbei, geradezu unauffällig erschienen. Wozu also der ganze Aufstand?

Aber die fragliche Künstlerin heißt Carla Bruni. Sie ist zugleich die Frau des französischen Staatspräsidenten, die Première Dame von Frankreich und seit Monaten bevorzugtes Thema saftiger Klatschgeschichten, die man sich in den Kneipen auf der ganzen Welt erzählt. „Comme si de rien n’était“ hat einen medialen Orkan entfesselt. Die Pressesprecherin der Plattenfirma schwört, sie habe so etwas noch nie erlebt. Schon vor dem Erscheinungstermin waren die Journalisten so scharf darauf, war der internationale Druck so hoch, die Gefahr undichter Stellen so groß, dass die CD zehn Tage früher veröffentlicht werden musste.

Seit Wochen wirbelt Carla Bruni wie ein beschwipster Kreisel durch die Redaktionen und verstreut Exklusivinterviews, vertrauliche Mitteilungen, private Fotos. Sämtliche französischen Nachrichtenmagazine haben Carla Bruni auf Seite eins gehoben. „Le Point“, „Paris-Match“ und selbst die „Libération“, das Aushängeschild der Linken, hat Carla Bruni ein mehrseitiges Interview gegönnt.

Die Plattenfirma bemüht sich, mit dem Rummel fertig zu werden. Sie wollte sogar einen Sticker aufkleben: „Sie können Carla Bruni lieben, auch wenn Sie ihren Mann nicht mögen.“ Die PR-Abteilung der Firma muss noch lernen, zwischen den frivolen Gesetzen des Show-Biz und den strengen Regeln der Staatsräson zu lavieren. Das Chanson „Ma Came“ („Du bist mein Stoff. Tödlicher als afghanisches Heroin. Gefährlicher als kolumbianischer Schnee“), in dem sie Liebesrausch und harte Drogen gleichsetzt, hat bereits zu diplomatischen Verwicklungen geführt. Der Außenminister Kolumbiens äußerte sich schockiert: „Dieser Text ist für unser Land sehr schmerzhaft, um so mehr, als er aus dem Mund der französischen Präsidentengattin kommt.“

Ja, Carla Bruni verstört die erfahrenen Interpreten des Verfassungsrechts. Seit der Gründung der V. Republik war die Rolle der französischen First Lady eindeutig festgelegt: Monsieur regiert und steht im Rampenlicht. Mit drei Schritten Abstand folgt Madame. Bänder durchschneiden, Chrysanthemenschauen eröffnen, lächeln und immer wieder lächeln. Eine Première Dame als Sängerin dagegen – das klingt nach Provokation.

„Die Frau des Präsidenten muss weiter arbeiten können“, plädiert Nicolas Sarkozy. „Natürlich sagt man: Aber sie ist mit dem Präsidenten verheiratet. Ich weiß, dass sie kritisiert wird, sobald ihr Album erscheint. Aber sie war schon Künstlerin, bevor sie mich kennengelernt hat. Und sie bleibt Künstlerin, ob sie nun die Frau des Präsidenten ist oder nicht.“ Einzige Einschränkung: keine Konzerte. Der Sicherheitsaufwand würde jede Spontanität abtöten. Das ist ihr einziges Zugeständnis. Ansonsten tut Carla, als ob nichts wäre. Oder beinahe. Denn die Medienstrategien im Elysée räumen dem Erfolg der CD ganz offensichtlich Priorität ein. Nur Carla Bruni ist in der Lage, die ins Bodenlose gefallenen Beliebtheitswerte ihres unpopulären Ehemannes wieder zu heben. Ein Flop wäre katastrophal.

Für die Presse ein geradezu tragisches Dilemma. Welche Haltung soll man einnehmen? Die doppelte Identität der Sängerin einfach ignorieren und ihr neues Album ausschließlich nach seinen musikalischen Qualitäten beurteilen? Muss man den Fallstricken der Boulevardisierung ausweichen, obwohl man die Verkaufszahlen hochpeitschen könnte? Nur „Les Inrockuptibles“ hat sich zu einer tugendhaften Lösung durchgerungen. Das wichtigste Musikmagazin hatte Carla Brunis ersten beiden Alben die Titelseite gewidmet. Diesmal hat die Redaktion sich für eine schlichte Musik-Kritik entschieden.

Was soll man also mit der neuesten CD von Carla Bruni anfangen? Diese Frage stellen sich alle Franzosen, seit eine ihrer Lieblingssängerinnen Madame Sarkozy geworden ist, Ehefrau eines Präsidenten, den die meisten ablehnen. Das erste Album, „Quelqu’un m’a dit“ der 2002 vom Model zur Sängerin Mutierten verkaufte sich in Frankreich 1,2 Millionen, im Ausland 800 000 Mal. Ein enormer Erfolg. Man liebt ihre leicht hauchige, sinnliche und heisere Stimme, ihre schlichte Gitarrenbegleitung, ihre nostalgischen Texte, die von der Liebe sprechen, vom Vergehen der Zeit, vom Tod.

In allen Regalen Frankreichs räkelte sich die schöne Carla neben ihrer Gitarre, ihr Traumkörper von einem T-Shirt umschmeichelt. Die Franzosen kennen ihre Chansons auswendig. Die Kritik hat sie mit Lob überhäuft. Doch ihre Liebesgeschichte mit dem Präsidenten hat diese Idylle zerstört. „Man kann sie nicht mehr hören!“, schimpfen die Franzosen. „Man ist wie befangen!“ Wird Frankreichs Première Dame die von allen vergötterte Sängerin k. o. schlagen? Nach Disneyland, den Pyramiden, der Heirat im Elysée, dem Hofknicks vor der englischen Königin, nach Carla und Nicolas überall und immerzu – die Franzosen haben genug. Es ist eine Überdosis.

Die Sarkozy-Hasser, die spitzen Federn und Kabarettisten haben Parodien verfasst, schlimmstenfalls geschmacklos, bestenfalls obszön. Ein beliebtes Spiel: Man behält die Musik. Man ändert den Text. Und schon hat man einen verheulten, gehörnten, lächerlichen Sarkozy. Und Carla männermordend. Carla zu groß für ihn. Man muss sich das nur einmal auf YouTube anhören, um zu verstehen, warum man Carla Bruni nicht mehr unbefangen hören kann. Und deshalb haben viele Franzosen ihre CDs ganz hinten ins Regal geräumt. Schade. Ihre ersten beiden Alben waren so schön.

Und das dritte? Die Interpretationen sind schon weit gediehen. Das Album enthält mehrere Liebeslieder. Der Agent mag nur immer schwören, Carla Bruni habe 95 Prozent davon geschrieben, bevor sie den Präsidenten kennen gelernt hat – man kommt einfach nicht umhin, zu deuten und zu entziffern. Carla singt: „Pass auf dich auf, ich bin Italienerin“, und schon sieht ganz Frankreich eine Gottesanbeterin vor sich, wie sie gerade ihren kleinen Präsidenten verschlingt. Und was soll man von diesen Zeilen halten: „Ich habe die Männer tanzen lassen / doch dir gebe ich mich ganz hin“? In ihrem Interview mit „Libération“ sagt Carla Bruni: „Ich schreibe die Chansons hauptsächlich mit meinen Gefühlen.“ Na, also doch. Wer ist denn nun der Mann, dem die „Amoureuse“, die Verliebte, nachläuft und dabei singt: „Die Straßen sind Gärten. Ich tanze auf den Trottoirs“? Cherchez le président! „Dieses Chanson beschreibt die Ekstase der Verliebtheit. Es hat sich nach der Begegnung mit meinem Mann entwickelt, doch geschrieben wurde es schon vorher.“ Das gesteht Frankreichs First Lady.

Was wird wohl von den Chansons der schönen Italienerin übrigbleiben, wenn die Dampfwalze aus Gerüchten, Verleumdungen, Satire darüber hinweggegangen ist? 14 Chansons in der Stimmung der Sechziger, üppiger orchestriert als die ersten Alben. „Elegante Pop-Arrangements“, sagen die einen. „Schwungvoller als das erste Album“, befinden andere Musikkritiker. „Handschrift und Interpretation zeigen Reife“, schreibt der „Figaro“, der daraufhin sofort als Lakai des Elysée geschmäht wurde.

Carla Bruni hat die meisten ihrer Texte selbst geschrieben. Außer „La possibilité d’une île“ (ein Gedicht von Michel Houellebecq), „You Belong To Me“ (ein Song von Bob Dylan) und „Il vecchio e il bambino“ (ein Text des italienischen Sängers und Anarchisten Francesco Guccini). Ihr Agent ist erleichtert: Wenigstens hier werde nichts in die Songtexte hineingeheimnist. „Péché d’envie“ hat die Sängerin gemeinsam mit dem Philosophen Raphäel Enthoven geschrieben, ihrem einstigen Gefährten, Vater ihres Sohnes und Sohn ihres früheren Geliebten. Und schon kochen die Gerüchte wieder hoch. Eine der viel versprechendsten Hoffnungen des neuen französischen Chansons geht zu Boden. Madame Sarkozy betritt erneut die Szene. Arme Carla.

Aus dem Französischen von Elisabeth Thielicke. Carla Bruni: „Comme si de rien n’était“ erscheint am Freitag bei Edel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false