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Kultur: Musik in Berlin: Das starke Geschlecht im Berliner Schauspielhaus

Nein, denkt die Zuhörerin zu Beginn, das geht nicht. Mozart, so nüchtern, so glasklar, so laut?

Nein, denkt die Zuhörerin zu Beginn, das geht nicht. Mozart, so nüchtern, so glasklar, so laut? Wo bleibt da die Koketterie? Julie Kaufmann singt "Abendempfindung an Laura", und sie kennt kein Erbarmen. Da äußert sich keine Prinzessin, sondern eine Königinmutter, keine Laura und auch keine Luise, die die Briefe ihres ungetreuen Liebhabers verbrennt, sondern mindestens Carmen: stolz, unbeugsam, erhaben.

Folgen Arnold Schönbergs Vier Lieder, op. 2, und die Zuhörerin beginnt, an ihrem ersten vorschnellen Eindruck zu zweifeln. Dann Debussy, "Ariettes oubliées". Keine Spur von Selbstvergessenheit. Kein zart dahingetupfter Impressionismus, kein sanftes Flirren in der Luft, sondern eben jenes Flimmern, das erscheint, wenn man direkt in die Sonne schaut. Man ist geblendet davon. In der Tat: Diese Stimme hat keine Angst vor extremen Gefühlen. Sie bleibt präzis, souverän, kultiviert, aber die brillante Oberfläche hat haarfeine Risse. Ein fahler Klang, mitten im Fortissimo. Ein Spitzenton, eben noch messerscharf und dann der Welt wie abhanden gekommen. Todessehnsucht, die dem Tod gleichwohl trotzt. Und der Mond scheint nicht sanft auf stille Gewässer; er verströmt ein kaltes, gleißendes Licht.

Gesang, verrät Julie Kaufmann, hat etwas mit dem Mut zur Verzweiflung zu tun. Mit jenem Augenblick, in dem die Sprache versagt, weil sie dem Überschwang der Empfindung nicht länger genügt. In dem das Herz überläuft und der Verstand vor lauter Ekstase hellsichtig wird. Donald Sulzen am Flügel folgt den schnellen Registerwechseln der amerikanischen Sopranistin, die an der Staatsoper in München zu Hause ist: kraftvoll ausgreifend und dann völlig entrückt. Am schönsten ist die Ruhe nach dem Sturm. Da pfeifen zwei im finsteren Wald, und dann senkt sich plötzlich die Finsternis über die Angst.

In Debussys "Chevaux de bois" drehen sich die Karussellpferdchen. Und die Bayerische Kammersängerin zaubert einen kompletten Jahrmarkt in den Kleinen Saal des Schauspielhauses. Da, ein listiger Marktschreier. Hier, die Betrunkenen. Dort, der kindliche Überschwang - die ganze verrückte Kakophonie eines Tanzes auf dem Vulkan. Julie Kaufmann zieht die Fäden, und sie verheddert sich niemals darin.

Und nachdem sie - ernst, flehentlich, unerbittlich - Olivier Messiaens "Chants de terre et de ciel" angestimmt hat, jene Gesänge, in denen der Komponist sein Familienglück und -unglück nach dem Tod seiner geliebten Frau artikuliert, singt sie als Zugabe noch einmal Mozart. "Der Zauberer", das Lied vom verführten Mädchen. Von wegen Verführung. Es ist das Mädchen, das den Kavalier mit perfekt gespielter Unschuld um den Finger wickelt. Ja doch, so geht das: Mozart oder Die Rache der Frauen. Diese Musik ist nichts für schwache Geschöpfe.

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