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Kultur: MUSIK IN BERLIN - Energetisch

Ein Haiku ist kurz und weise.In meditativem Gewahrsein, absichtslos, schrieben die japanischen Meister ihre zweimal fünf und einmal sieben Silben mit Pinsel und schwarzer Tusche auf Papier.

Ein Haiku ist kurz und weise.In meditativem Gewahrsein, absichtslos, schrieben die japanischen Meister ihre zweimal fünf und einmal sieben Silben mit Pinsel und schwarzer Tusche auf Papier.Die drei instrumental vertonten Haikus "Sleeping Furiously" des London Jazz Composers Orchestra, die am Freitag beim Berliner Jazzfest aufgeführt wurden, schienen dagegen wie mit dem Schneidbrenner in eine Stahlplatte geschrieben.Das im Titel formulierte Paradox des wütenden Schlafs setzte das von Barry Guy geleitete Ensemble in extreme Kontraste um.Karge, tonal orientierte Momente erinnerten an den von der Leere erfüllten Geist des Haiku, doch gleich darauf breitete sich der dichte Schalldruck eines vielstimmigen Akkords aus, der bis zum x-fachen Fortissimo anschwoll.Oder ein Saxophonist, ein Trompeter und ein Posaunist schrien auf einmal in ihre Instrumente, während die Pianistin Marilyn Crispell, sekundiert vom Kontrabassisten Barre Phillips, ein Maximum an Tönen in einem Minimum an Zeit produzierte.

In zweiten Stück, "Strange Loops", warf sich die Vokalistin Maggie Nichols, eine der rückhaltlosesten Stimmkünstlerinnen des Jazz, vom ersten Ton an in die Musik.Mal stotternd, mal wimmernd, mal im Verschwörerton der Soubrette artikulierte sie Fetzen von Gedichtzeilen, die Marilyn Crispell für ihren Mentor Cecil Taylor geschrieben hatte.

Im Trio mit Marilyn Crispell und dem Schlagzeuger Paul Lytton erholte sich Barry Guy dann am Kontrabaß von den Anstrengungen des Dirigierens einer Partitur, die auf manchen Seiten eher wie ein Schnittmuster für ein extravagantes Kleidungsstück aussah.Dabei führte er das komplette Register seiner Spieltechniken vor.Er trieb ein Kantholz quer über das Griffbrett seines fünfsaitigen Instruments, strich mit dem Bogen Himmelstöne von jenseits des Stegs herbei, trat gelegentlich auf ein Volumenpedal, das die Töne wie aus dem Nichts anschwellen ließ, und schlug abwechselnd mit Fingern und Trommelschlägeln auf die Saiten.Dazu spielten Frau Crispell und Paul Lytton jeder ihre eigene Musik.Gehört es zu den Mysterien oder zur Routine des Free Jazz, daß dabei doch immer wieder Momente von hoher energetischer Gemeinsamkeit entstehen?

Bei der Berliner Gruppe Frigg stimmte die Balance aus komponierten Teilen und Improvisation, aus Feinstofflichem und Eruption.Zu frühen Brecht-Liedern hat ihr Leiter Bert Wrede eine präzise Musik für drei Bläser, Cello, Gitarre, Baß und Schlagzeug und zwei Singstimmen geschrieben, die ihre Vorgänger Eisler und Weill gern überwinden möchte, ihnen im Gestus aber nah bleibt.Phil Minton bewies einmal mehr, daß er der bessere Tom Waits ist.Neben dem reifen Witz dieses unglaublichen Sängers und dem unerschöpflich scheinenden Repertoire seiner Ausdrucksmöglichkeiten wirkte die Sängerin Meira Asher aus Israel etwas blaß.

TOM R.SCHULZ

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