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Yannick Nézet-Séguin und sein Orchester in der Philharmonie.

© Todd Rosenberg Photography

Musikfest Berlin 2022: Diese Frau hat Power

Florence Price war die erste Afroamerikanerin, von der eine Sinfonie aufgeführt wurde. Yannick Nézet-Séguin und das Philadelphia Orchestra stellen sie vor.

Beim „Musikfest“-Gastspiel des Philadelphia Orchestra betreten genau zwei Persons of Colour die Bühne der Berliner Philharmonie. Der eine ist Kontrabassist, die andere Orchesterwartin, die nach der einleitenden „Karneval“-Ouvertüre von Antonin Dvorak dabei hilft, ein paar Stühle und Notenpulte beiseite zu schaffen, damit Lisa Batiashvili bei Karol Szymanowskis Violinkonzert genug Bewegungsfreiheit hat. Dass sich in der sechstgrößten Stadt der USA rund 43 Prozent der Einwohner als Afroamerikaner definieren, spiegelt sich in der Zusammensetzung des Orchesters nicht wider. Zwar spielen viele Asiaten mit, doch der optische Eindruck ist so weiß wie bei europäischen Klassikensembles.

Nézet-Séguin setzt sich für die Komponistin ein

Aber als Hauptwerk des Abends wird die Sinfonie einer Schwarzen gespielt. Die 1887 in Arkansas geborene Florence Price war die erste Afroamerikanerin, die eine Uraufführung ihrer Musik durch ein Profiorchester miterleben durfte. 1933 war das, bei der Weltausstellung in Chicago, allerdings in einem Konzert, das den Titel „The Negro in Music“ trug.
Yannick Nézet-Séguin, der kanadische Chefdirigent des Philadelphia Orchestra, bemüht sich darum, Florence Price zurück ins Rampenlicht zu holen, mit seinen Musiker:innen hat er 2021 ein Album mit den beiden erhaltenen Sinfonien der Komponistin herausgebracht. Und er präsentiert jetzt beim Berlin-Gastspiel nicht nur die 1. Sinfonie, sondern wählt auch als Zugabe ein Price-Piece, ihre schwelgerische „Adoration“, ursprünglich für Geige und Klavier geschrieben.

Dvorak war ihr künstlerisches Vorbild

Antonin Dvorak, der von 1892 bis ’95 in New York Direktor des Konservatoriums war, ist das hörbar ästhetische Vorbild von Florence Price. An der süffigen, klangfarbenprächtigen Romantik des Tschechen orientiert sie sich, und sie nimmt seine Anregung auf, Volkslieder als Inspirationsquelle zu nutzen, um eine eigene nationale Schule zu begründen. Eine „Sinfonie aus der eigenen Welt“ hat sie komponiert, Gospels, Spirituals, Wechselgesang-Choräle und der aus Westafrika stammende Juba-Tanz prägen die Partitur. Im Live-Erlebnis wirkt Florence Prices Mischung aus europäischen und afroamerikanischen Traditionen noch faszinierender als auf CD, eingängig und kraftvoll, fantasiesprühend und mitreißend. Mit extrovertierter Körpersprache sorgt Yannick Nézet-Séguin für einen durchweg hohen Energiepegel, lässt diese im besten Sinne populäre Musik leuchten - und erntet in der bestens besuchten Philharmonie prompt spontanen Zwischenapplaus nach allen Sätzen.

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