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Kultur: Mut zum Missgriff

KLAVIER

Kissin kommt von Können. Seit 20 Jahren tourt der russische Pianist mit Mutter und Lehrerin durch die Welt. Früher zwinkerte er nervös ins Scheinwerferlicht, heute beschert er seinem tobenden Publikum selbstbewusst gigantische Zugabeblöcke. Ein Wunderkind, sagt der 31-Jährige sei er nie gewesen, immer nur Künstler. Der trennt sich am klarsten vom brillanten Tastaturfeinmechaniker, wenn ihn sein Weg in zarte Gefilde führt, an einsame Orte intimer Zweisprache. So kommt es, dass sich junge Virtuosen wie Arcadi Volodos oder Jewgenij Kissin in die Sonaten Schuberts vertiefen – um sich damit öffentlich von einem Leben als Bravourstückspieler loszusagen. Eine vor Hustenkrämpfen brodelnde Philharmonie wollte Zeuge sein, wie Kissin mit Schuberts finaler Sonate D 960 mal etwas Herz durch seinen Frack scheinen lässt. Leider wartete man darauf ebenso vergeblich, wie auf einen bewusst gestalteten lyrischen Bogen, einen Atem, ein Pulsieren. Kissin kriecht langsam in die grummelnden Bassfiguren hinein, mischt einen wirklich edlen Blauschwarzton an, zeigt ihn herum – und fängt so gar nichts damit an. Er bummelt durch eine erschreckend modulationsarme Tiefebene: gravitätisch der Gang, leer der Kopf. Eine Pause ist nur eine lästige Stelle ohne Musik, kein Nachhall, kein Abbruch, kein Erschrecken. So füllt sich das Finale mit einer trügerischen Freude an der auftrumpfenden Geste, mit purem Wohlgefallen am großen Ton; nichts liegt Schubert ferner. Die Kluft zwischen technischem Vermögen und musikalischem Erleben weitet sich bei Liszts Schubert-Bearbeitungen zu einem grotesken Abgrund der Langeweile. Daran kann auch ein mit Furor hingeschmetterter Mephisto-Walzer leider nichts mehr ändern.

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