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Kultur: Mutter Courage von der Lenin-Werft

„Osteuropa ist mein Schicksal“: der Regisseur Volker Schlöndorff und sein umstrittener Solidarnosc-Film „Strajk“

Geschichte ist in. Mehr als elf Millionen Fernsehzuschauer sahen Maria Furtwängler als ostpreußische Gräfin Courage auf ihrer Flucht. Geschichte ist out: Für Katharina Thalbach als polnische Mutter Courage der Lenin-Werft interessiert sich kaum ein Filmtheaterbesitzer. Zumindest hatte der Verleih von Volker Schlöndorffs Arbeiterhistoriendrama über die Anfänge der Solidarnósc-Bewegung es nicht leicht, „Strajk – Die Heldin von Danzig“, in die Kinos zu bringen.

Das Leid einer deutschen Vertriebenen, die Not einer polnischen Arbeiterin: Kann man das vergleichen? Man kann. Weil es in beiden Fällen um eine eher altmodische Heldin in einer altmodischen Geschichte über altmodische Tugenden wie Tapferkeit, Gerechtigkeitssinn und Verantwortungsbewusstsein geht. Und weil Deutschland und der Rest der Welt ohne die polnische Arbeiterin heute anders aussähen. Sagt Volker Schlöndorff.

Eigentlich ist der 67-jährige Regisseur ja schon zwei Filme weiter. Zu Hause, in seiner Villa am Griebnitzsee, sitzt er an den Storyboards für „Die Päpstin“; Drehstart für die Bestseller-Verfilmung mit Franka Potente ist der 8. Mai. Bei seinem jüngsten Film, dem in Kasachstan gedrehten ruhigen Liebes-Roadmovie „Ulzhan“, fehlt nur noch der Soundtrack. Und diese Woche startet nun endlich „Strajk“.

Also unterbricht er die „Päpstin“-Skizzen und gibt am Telefon Auskunft über die Kranführerin Anna Walentynowicz, die seine von Katharina Thalbach gespielte Filmfigur Agnieszka inspirierte. Darüber, wie er nach Lektüre der ersten Drehbuchfassung von Sylke Rene Meyer dachte, dieser Anna müsse man ein Denkmal setzen, Publikumspotenzial hin oder her. Wegen der Ideale. Und wegen des Schneeballeffekts. Denn Anna verdankt Polen die Gründung von Solidarnósc. Und weil Lech Walesa nicht ohne Walentynowicz, Gorbatschow nicht ohne Walesa, der Fall der Mauer nicht ohne Gorbatschow und das Ende des Kalten Krieges nicht ohne den Mauerfall denkbar ist, hat diese einfache Arbeiterin, gewissermaßen Weltgeschichte geschrieben. Auch wenn sie – im Schatten des redegewaltigen Volkstribuns Walesa – bald und gründlich vergessen wurde.

Ein filmisches Denkmal also. Schläge auf Eisen, klingendes, dröhnendes Metall: Jean Michel Jarres Maschinen-Sinfonie begleitet das Biopic nicht ohne Pathos. Und Katharina Thalbach ist als Agnieszka eine sehr kleine, sehr rundliche Frau, die mit ihren staunenden Augen ein bisschen aussieht wie ein in die Jahre gekommener Oskar Matzerath. Beharrlich und stur, machmal zeternd bietet sie den Bonzen auf der Werft Paroli. Ein Gnom in Malocher-Montur, eine heilige unheilige Agnieszka des Arbeiterkampfs. Eine, die zunächst nicht lesen und schreiben kann, aber den Parteisekretären und Gewerkschafts-Apparatschiks hartnäckig Zugeständnisse abtrotzt. Einfache Sachen. Ein Klo für die Frauen. Rente für die Witwen der beim Werft-Brand gestorbenen Kollegen. Eine Gulaschkanone, weil die Kantine eine halbe Stunde entfernt liegt.

Die Revoluzzerin mit der Suppenkelle. Nach 30 Jahren Schufterei, einem erschöpfenden Leben mit unehelichem Sohn, dem kurzen Glück mit dem Freizeittrompeter Kaziemierz (Dominique Horwitz), dessen Arbeiterherz beim Hochzeitsausflug ans Meer zu schlagen aufhört, wird ihr Einstehen für die Kollegen mit Entlassung quittiert. Die Solidaritätswelle führt im August 1980 zum Generalstreik. Aber Agnieszka streitet sich weiter, mit dem Elektriker Lech Walesa, weil der nach nur drei Tagen aufgeben will. Der Rest ist wie gesagt Weltgeschichte. Der anschließende Gewerkschaftszwist, das Kriegsrecht, Jaruzelski – all das kommt im Film nicht mehr vor.

Katharina Blum. Oskar mit der Blechtrommel. Bruno Ganz als Kriegsreporter in „Die Fälschung“. Die Ex-Terroristin Rita Vogt in „Die Stille nach dem Schuss“. Der Priester in „Der neunte Tag“, der lieber ins KZ zurückgeht, als den Nazis das Wort zu reden: Schlöndorff-Helden schlagen sich oft mit der schmerzhaften Treue zu ihren Idealen herum. Warum wieder so eine Geschichte? „Weil es“, Schlöndorff lacht, „vielleicht die einzige Erfolgsgeschichte ist, die ich je erzählt habe.“ Eine einzelne Frau, die unendlich viel mehr bewegt, als sie selbst je erträumte.

Apropos „Blechtrommel“: Auch die hat er in Danzig gedreht, ein halbes Jahr vor dem Streik, als „das Angespannte der Lage bereits deutlich zu spüren“ war. Wenn Thalbach nun, vor der Kulisse der Werftkräne, am selben Strand entlangläuft, an dem sie als Maria einst Oskar liebte, dann ist das für den Wiesbadener Schlöndorff fast eine Heimkehr an den Ort, an dem er mehr erreichte, als er sich damals erträumte: 1980 gewann er mit der Grass-Verfilmung den ersten deutschen Auslands-Oscar.

Anders als Lech Walesa, der den Film bei der Danziger Premiere am 19. Februar „als Elektriker“ lobte, aber „als Staatspräsident“ die Rolle seiner Mitstreiterin erneut herunterspielte – anders als der polnische Ex-Präsident mag Anna Walentynowicz ihr filmisches Denkmal allerdings gar nicht. Nicht weil die Geschichte zwar redlich, aber ein wenig mechanistisch chronologisch erzählt ist. Oder weil Schlöndorff nur wenige bildgewaltige Momente gelingen. Nein, sie wirft dem Regisseur Lüge und Betrug vor. „Ich bin sehr traurig darüber“, sagt Schlöndorff, der es nach ersten Besuchen irgendwann aufgab, sie in die Arbeit am Film einzubeziehen. Vergeblich hoffte er, wenigstens das fertige Werk würde sie überzeugen: „Ich hätte gewollt, dass sie sich feiern lässt.“

Anna Walentynowicz empört sich darüber, dass die Filmheldin eine Analphabetin und Mutter eines unehelichen Kindes ist. Aber das war sie doch, hält Schlöndorff dagegen. Sie habe erst auf der Werft Lesen und Schreiben gelernt. Das sei, wie das uneheliche Kind, kein Makel, sondern eine Auszeichnung. Ein so starker, unverbildeter Gerechtigkeitssinn! Eine, die sich durchschlagen muss und sich dabei so schlagfertig durchzusetzen versteht!

Die Ironie der Geschichte: Im Film huldigt Schlöndorff Walentynowiczs Widerspruchsgeist, im wirklichen Leben bekam er ihn schmerzhaft zu spüren. Und die Moral: Die Fiktion, die der Wirklichkeit bekanntlich nur beikommen kann, wenn sie die Realität auch ein Stück weit verrät, wird niemals von denen gemocht, die dabei waren. Denn sie registrieren nur den Verrat und leiden darunter. Wenn man das Leben dramatisiert, beklagt es sich hinterher.

Schlöndorff kann das aushalten. Schließlich ist es ihm schon einmal passiert, mit der Ex-Terroristin Inge Viett, auf deren Biografie „Die Stille nach dem Schuss“ basiert. Rita statt Inge, Agnieszka statt Anna: Schlöndorff meint es gut mit den Frauen, will sie ins historische Recht setzen. Aber sie danken ihm seine Komplizenschaft nicht und versuchen ihn, zu verklagen. „Ob Maria Stuart oder Jeanne d’Arc Schiller gedankt hätten?“ Schlöndorff zögert. „Man schafft eine Kunstfigur, indem man sich einer Biografie bemächtigt. Wenn ich mich andererseits auf Literaturverfilmungen beschränke, beschweren sich die Autoren.“

Und wie hält er es selber mit den Idealen? Schlöndorff zögert noch einmal. Am Morgen hat er eine Stunde Montaigne gelesen, das tut er zur Zeit gerne, um sich aufzubauen. Man muss sich treu bleiben, steht bei Montaigne. Ohne Ideale könne er nicht leben, sagt Schlöndorff; aber es sei falsch, sie fanatisch durchzusetzen. Eines der größten: die Toleranz. Womit wir bei der „Päpstin“ wären. Nach der Danziger Ballade und der kasachischen Meditation sei das eine echte Abenteuerstory. Und noch eine Heldinnensaga: über eine idealistische, widersprüchliche Frau, die in Männerkleidung für die Rechte der Frauen kämpft.

Gedreht wird übrigens in Bulgarien, dort sind die Studios billiger. Danzig, Kasachstan, Sofia: „Osteuropa ist mein Schicksal“, lacht Schlöndorff, und es klingt ein wenig bitter. Vor seiner Haustür liegt Babelsberg, das Traumstudio, dessen Boss er in den Neunzigern war. Bis der Idealismus nicht mehr geholfen hat.

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