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Kultur: Mythos und Marke

Hannibal 3, Harry Potter 2 und Bond 21: Das Kino lebt wie nie zuvor von Fortsetzungen. Warum unsere Fantasie ein Stammkunde ist

Wahrscheinlich hat James Bond den Anfang gemacht – 1962 mit „Dr. No“. Er ist der älteste, mehrfach geklonte, immer noch lebende Serienheld des Kinos, und vielleicht sein unsterblichster. „Man lebt nur zweimal“: Das war 1966, als Bond, noch relativ bescheiden, in seinem immerhin schon fünften Film programmatisch den Anspruch anmeldete, nicht ganz von dieser Welt zu sein. Und wenn Ende dieses Monats „Stirb an einem anderen Tag“ ins Kino kommt, Bond Nummer 21, dann dürfen wir seine Selbstaussage wiederum wörtlich verstehen. Stirb nicht morgen, das sowieso nicht, schließlich wissen wir, „Der Morgen stirbt nie“ (Bond Nr. 19). Stirb, wenn du denn schon sterben musst, am Sankt Nimmerleinstag.

Längst wächst die dritte Zuschauergeneration mit Bond auf. Mühelos reiht sie den alterslosen Geheimagenten in ein Universum aus Mythen ein, das heute vor allem aus Markenartikeln besteht. Sicher, seit jeher nährt sich das Kino – und dabei muss man nicht einmal an die Unzahl offener und verborgener Remakes der Filmgeschichte denken – vampirisch von den eigenen Heldenstoffen und speit sie immer wieder lustvoll aus. Doch in diesem Herbst will gleich eine ganze Galerie alter Bekannter beweisen, dass das Kino sich zwar wie alles Originäre immer wieder neu erschafft, dabei aber am liebsten gleich in Serie geht.

Es begann im Oktober mit den ungleichen Brüdern Austin Powers und Hannibal Lecter: Das Kontrastpaar präsentiert sich zum dritten Mal – wobei das höchst Alberne mit dem zutiefst Schaurigen und umgekehrt durchaus kokettiert. Und in wenigen Tagen gibt „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“ den Startschuss zu den nun fast allwöchentlichen Serien-Hits der Saison: Auf diesen noch vergleichsweise jungen Kinomythos folgen „Santa Clause 2“ und Bond; zu Weihnachten und kurz nach Silvester werden uns dann noch die archaisch-futuristischen Sagas „Der Herr der Ringe“ und „Star Trek“, die eine zum zweiten, die andere zum zehnten Mal, mit genretypischem Getöse aus kollektiver Feiertagsträgheit in andere Zeiten und Welten beamen.

Das Kino denkt, so scheint’s, nur noch in Staffeln. Seine Kreativität investiert es ins Klonen, ins Gesetz der Serie, das Varianz und Wiederholung gleichermaßen umfasst. Was das Fernsehen vormacht und woran es sein Publikum gewöhnt hat – mit der längsten und erfolgreichsten Serie namens „Tagesschau“ –, überträgt das Kino in seine eigenen Produktionsformen. „Der Herr der Ringe“ etwa wurde am Stück gedreht, kommt aber erst an drei aufeinander folgenden Weihnachten ins Kino: ein visueller Festtagsbraten aus der Tiefkühltruhe, punktgenau aufgetaut. „Harry Potter“ lässt seinen Zauberschüler zwar mitwachsen: Doch das neue Schuljahr in Hogwarts beginnt pünktlich zum Weihnachtsgeschäft an der Kinokasse. Und die Multiplexe, die Verleiher, die Medien, die Kaufhäuser und das Publikum richten längst ihren Jahres-Eventkalender danach.

Auch sonst ähnelt die Filmindustrie immer mehr einer gigantischen Wiederaufbereitungsanlage: Sie runderneuert nahezu jeden Kassenhit, von „Men in Black“ bis „Stuart Little“, von „Rush Hour“ bis „Scary Movie“, um nur ein paar neuere Beispiele zu nennen. Und schon drängen „Spy Kids 2“ und „Anatomie 2“ nach. Wann, so darf man fragen, kommt der Kino-Donnerstag, an dem nur noch so genannte Sequels an den Start gehen? Wann werden wir uns im Kino so fremd-vertraut wie in der Fußgängerzone einer unbekannten Stadt fühlen – vollversorgt von einem globalisierten Fantasie-Universum, in dem es vor lauter Filialen keine Zentralen, keine Originale mehr gibt?

So wird es wohl nicht werden. Schon die Ökonomie zwingt hin und wieder zur Entwicklung echter Originale, weil ohne Prototypen nichts Neues in Serie gehen kann. Dennoch hat das Prinzip Serie zumindes die Tendenz, das Original abzuschaffen. Die Marke braucht den Mythos nurmehr wie ihren Wirtskörper, um sich als Marke immerfort neu zu erzeugen. Fortsetzung folgt: Immer stärker setzt die Filmindustrie auf geistiges second hand – und das Publikum akzeptiert das Angebot. Der Verbraucher lebt markenbewusst, also guckt er auch markenbewusst. Er raucht vielleicht nicht mehr Kette, das wäre ja ungesund, aber dafür guckt er Kette.

Solche Massierung in den Schaufenstern der Multiplexe funtioniert auch erst durch massenhaftes Interesse. Selbst wenn man die gewaltigen Lenkungskräfte abzieht, die die Unterhaltungsindustrie zur Durchsetzung ihrer Produkte mobilisiert, läuft das Zusammenspiel zwischen Angebot und Nachfrage verblüffend perfekt – gerade so, als hätten Studios und Publikum eine Art Sicherheitspartnerschaft vereinbart. In einer Welt wachsender wirtschaftlicher und existenzieller Unwägbarkeiten und ohnehin immer irritierenderer Unübersichtlichkeit sind zumindest solide Wahrnehmungsverträge gefragt. Das Kino als Hochrisikogeschäft – jenes Etikett, mit dem die Manager-Macher sich einst als verwegene Spieler schmückten und aus dessen funkelndem Material sich so manche Legende weben ließ, hat ausgedient. „Harry Potter“ und „Der Herr der Ringe“ setzen das Gegenteil am radikalsten durch und schnüren den Stabilitätspakt sogar doppelt: erst der Schritt vom literarischen Mythos zum Kinohit, und dann, segmentiert und sequenziert, das Gesetz der Serie.

Ein solches Kino, so erfolgsselig es heute daherkommen mag, ist eines der Krise. Es spart selber an Fantasie, wo sein Publikum sich das Abenteuer unvorhersehbarer Erlebnisse spart. Frei nach dem Motto: Wenn schon Risiko sich nicht mehr lohnt in sozial wackeligen Zeiten, dann muss wenigstens Kino sich wieder lohnen, und sei es mit Stoffen von der Stange. Derzeit trommelt sogar der Werbeblock vorm Hauptfilm massiv für den Abschluss von allerlei Versicherungsverträgen – warum sollte da der Zuschauer nicht auch das Kinoticket als eine Art Police betrachten? „Bei Nichtgefallen Geld zurück“: Das gilt für die Ware Film zwar immer noch nicht. Aber Produzenten wie Publikum bemühen sich, durch konsequente Anwendung des seriellen Prinzips das Risiko des Nichtgefallens auszuschließen.

Cineasten mögen sich an solcher Gleichsetzung stören: Aber das kollektive Sicherheitsdenken ist keineswegs auf die Konstruktion und den Konsum von Blockbustern beschränkt. So ist es vielleicht kein Zufall, dass ausgerechnet Aki Kaurismäkis „Mann ohne Vergangenheit“, der Fast-Sieger von Cannes, es wagt, in der kommenden Woche gegen den übermächtigen „Harry Potter“ anzutreten – weniger beim Rivalisieren um Zuschauerzahlen, wohl aber um mediale Aufmerksamkeit. Denn auch Kaurismäkis Filme sind Mythen: verlässliche Universen, in denen wir uns a priori zurechtfinden. Und bringt nicht auch Woody Allen alljährlich einen neuen Film mit fast immergleichem Helden heraus? Was unterscheidet deren Kontinuität – jedenfalls strukturell – von jener der Bond–Serie?

Auch das Publikum eines Kaurismäki, eines Woody Allen, eines Almodóvar nimmt seine Ikonen eisern in die Pflicht. Sie sind die Serientäter kreativer Individualität, die den Serienhelden der Masse gegenüberstehen. Hier wie dort bilden sich Gemeinden, die in ihre Filme pilgern: Verbraucher, die gerne ins immerselbe Regal greifen – ob im stereotyp sortierten Feierabendshop oder an den freien Tankstellen der Fantasie. Mit einem Unterschied: Die einen bieten das durchsichtig plastikfolienverschweißte Produkt, das die Gefahr des Fehlkaufs minimiert, nebenan gibt es immer noch die Wundertüte.

Wer Bond guckt, investiert in eine industriell gefertigte Marke, die sich bereits in ihrem ersten Jahrzehnt zum Mythos ausgewachsen hat: Auf berechenbares Personal und Setting, auf Grundkonflikt und Spannungsbögen kommt es an, der Regisseur spielt kaum eine Rolle. Wer Kaurismäki guckt, setzt auf einen Stil, ein Timbre, ein Ambiente; alles Weitere aber, Plot und Konflikt und Figuren, sind pures Abenteuer. Es ist nicht der kommerzielle Erfolg, sondern der künstlerische Name, der hier den Mythos prägt und die Assoziationsmembran mit jedem neuen Film neu zum Schwingen bringt. Im besten Fall ist der Zuschauer damit so glücklich wie der Fan von Autoren, die, wie es so schön heißt, ihr Leben lang immer dasselbe Buch schreiben.

Was also suchen die Stammkunden des Kinos, ob Mainstream-Konsument oder Arthouse-Connaisseur (oft sind sie ja je nach Laune beides)? Sie wollen vor der Leinwand so fern wie möglich von sich selbst und zugleich zu Hause sein. Die einen stürzen sich vergnügungssüchtig davon ins möglichst berechenbar Fremde und bleiben im Übrigen bei sich; die anderen benutzen gerade das Fremde, um verwandelt zu sich selbst zurückzukehren. Geträumte Reisen, in jedem Fall: mal in die Ferne, mal ins Tiefe. So viel Restrisiko muss sein.

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