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Kultur: Nachbilder

wechselt in Berliner Galerien die Perspektive Nervus Opticus – der Sehnerv. So nennt sich jene hypersensible Verbindung im Hirn, die mit Ganglienzellen Lichtimpulse an die Retina weiterleitet.

wechselt in Berliner Galerien die Perspektive Nervus Opticus – der Sehnerv. So nennt sich jene hypersensible Verbindung im Hirn, die mit Ganglienzellen Lichtimpulse an die Retina weiterleitet. Der österreichische Künstler Christian Roeck geht den umgekehrten Weg und holt Innenbilder nach Außen. Er  sieht für sein „Retina Project“ länger als gewöhnlich in helles Licht und provoziert damit die so genannten Nachbilder auf der Netzhaut. Geheimnisvolle Flecken, die das übliche Bild überlagern. Den Effekt wandelt Roeck in Digitaldrucke auf Leinwand und Oxidationsmalerei auf Silberblech (Preise zwischen 1500 und 4400 Euro). Diese Unikate in der Galerie Deschler erlebt man wie psychedelische Spiegel: Umgebung und Betrachter agieren zwischen irisierenden Farbstrudeln. Wobei das oxidierte Innenbild das optische Außenbild gewissermaßen löchert. Ein echtes Spiegelbild im spiegelverdrehten Echten. Schwer vorstellbar, am besten selbst ausprobieren (bis 9. April, Auguststraße 61) .

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„ The unbearable darkness of seeing (Die unerträgliche Finsternis des Schauens)“ klingt dagegen als Titel für eine Kunstausstellung eher diabolisch. Und tatsächlich zeichnet der amerikanische Künstler Greg Stone mit Teer, dem denkbar düstersten Material. Auf den ersten Blick erinnern die Motive an fraktal konstruierte Muster. Aber jede der Linien, Tupfen und Flecken ist einzigartig. Hält das Auge länger inne, eröffnen sich rätselvolle Einblicke in die Fantasiewelt Stones: suggestive Saugschlünde, wabernde Wurmlöcher, polymolekulare Korpuskeln auf speed.   Die Welt als Ornament braucht  keine weitere Erklärung ( Galerie Fruesorge , Gartenstraße 1, bis 9. April, Preise zwischen 400 und 6000 Euro).

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Eine gute Viertelstunde Außenlicht kann nach so viel Innenwelt nicht schaden. So lange dauert der Spaziergang zur Spielhaus Morrison Galerie (Reinhardtstraße 10, bis 19. März ), wo zurzeit Tim Trantenroth ausstellt. Endlich wieder Realität: Fassaden, Gebäude, Autos. Aber auch auf diesen Bildern stimmt etwas nicht. Mitten in die kaschierten Fotografien einer heilen Welt hat Trantenroth Spuren des Terrors montiert wie kaputte Fenster und brennende Autowracks. Er mischt Techniken und Ebenen: Ein gemaltes zerstörtes Minarett ragt unmittelbar neben dem fotografierten Deutschen Dom am Gendarmenmarkt in den Berliner Himmel (Preise zwischen 650 und 1800 Euro). Die gewohnte Ansicht wird durch Trantenroths künstlerischen Wechsel der Perspektiven zu Neuland verwandelt. Die wunderschön leise Mahnung an eine alte Erkenntnis: Nichts bleibt ewig. Alles ist im Wandel.

Thea Herold

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