zum Hauptinhalt
Karl Dietrich Bracher, 13. März 1922 - 19. September 2016.

© picture alliance / dpa

Zum Tod von Karl Dietrich Bracher: Nachdenken über die Demokratie

Er begründete die "Bonner Schule" und thematisierte als einer der ersten die NS-Verstrickung: Der Zeithistoriker und Politikwissenschaftler Karl Dietrich Bracher ist tot. Ein Nachruf

Seinen Namen hat er sich mit Werken über die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert gemacht. Der Zeithistoriker, Totalitarismusforscher und Demokratiewissenschaftler Karl Dietrich Bracher hat das öffentliche (Selbst-)Bewusstsein von Nachkriegs-Deutschland mitgeprägt und zur Debatte gestellt. 30 Jahre wirkte Bracher in der Hauptstadt der alten Bundesrepublik, als Professor an der Universität in Bonn. Am Montag ist Bracher dort gestorben, mit 94 Jahren.

Der 1922 in Stuttgart geborene Sohn aus bildungsbürgerlichem protestantischem Hause – der Vater arbeitete im württembergischen Kultusministerium – absolvierte seinen Kriegsdienst, kam als Mitglied des Afrika-Korps in amerikanische Gefangenschaft, studierte in Tübingen Geschichte Philosophie, Philologie und Literatur, ging nach der Promotion für ein Jahr nach Harvard und habilitierte sich 1955 in Berlin mit einer Arbeit, deren Stoff zu einem seiner Lebensthemen werden sollte: die Auflösung der Weimarer Republik und das Problem des Machtverfalls in der Demokratie. 1959 kam Bracher nach Bonn, als Inhaber des neugeschaffenen Lehrstuhls für Politikwissenschaft und Zeitgeschichte an der Friedrich-Wilhelm-Universität. Und er baute dort das Seminar für Politische Wissenschaft auf.

1969 erschien Brachers Hauptwerk, "Die deutsche Diktatur"

Der Aufklärer und Analytiker Bracher ging nicht mit dem Zeitgeist. Als einer der ersten betrieb er die Aufarbeitung der NS-Geschichte, schrieb über „Machtergreifung“, Verstrickung und Kontinuitäten über die Stunde Null hinaus. Als 1969 – das Jahr im Bannkreis der 68er-Bewegung ist kein Zufall – sein Hauptwerk „Die deutsche Diktatur“ erschien und alsbald zur Pflichtlektüre der Universitäten avancierte, bedeutete das den wohl entschiedensten Bruch mit den unseligen Traditionslinien einer belasteten Historikerschaft. Bracher mystifizierte das NS-Regime nicht länger als unbegreifliches Unheil, sondern erklärte es aus den gesellschaftlichen Bedingungen und Entwicklungen eines nie ganz zur Demokratie gereiften Deutschland.

Zu Brachers Schülern gehörte auch Margaria Mathiopoulos

Als akademischer Lehrer bildete Bracher ganze Generationen kritischer Historiker aus; über 130 Schüler promovierte er an seinem Institut Am Hofgarten. Ohne ihn hätte sich die deutsche Geschichtswissenschaft nicht so entschieden von ihrer Vergangenheit emanzipieren können. Zur „Bonner Schule“ gehörten unter anderem der Extremismusforscher Manfred Funke, Friedbert Pflüger und Margarita Mathiopoulos – die bis heute gegen den Entzug ihres Doktortitels wegen Plagiatsvorwürfen klagt.
Brachers Veröfffentlichungsliste ist kaum überschaubar. Zu seinen wichtigsten Büchern zählen „Das deutsche Dilemma“, „Wendezeiten der Geschichten“ und „Geschichte als Erfahrung“. Auch die Zahl seiner Akademie- und Kommissionsmitgliedschaften ist lang, ebenso die seiner Ehrungen. Und zu seinen wichtigsten Tätigkeiten als Herausgeber zählt die „Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ in sechs Bänden, die er gemeinsam mit Theodor Eschenburg, Eberhard Jäckel und Joachim Fest edierte.

Bracher begleitete die Bonner Republik - mit Distanz zur Macht

Hermann Rudolph nannte ihn in dieser Zeitung einmal den „Idealtypus eines politischen Professors“, einen „Praeceptor Germaniae, den humanes Format und intellektuelle Überzeugungskraft gleichermaßen auszeichneten“. Bei aller engagierten Beteiligung am öffentlichen Diskurs und aller räumlichen Nähe zu den Regierenden in der Hauptstadt der Bonner Republik legte Bracher zeitlebens Wert auf Distanz zur Macht. Er gedenke nicht, Politik und Politische Wissenschaften miteinander zu verwechseln, betonte er.
Was bleibt von Bonn, auch in der Berliner Republik: Das Lebenswerk von Karl Dietrich Bracher, so Universitätsrektor Michael Hoch, präge den Ruf der Bonner Uni bis heute. Und, so lässt sich hinzufügen, den Ruf eines Fachs, das mit Brachers Werdegang in Deutschland überhaupt erst seinen Anfang genommen hatte. BS/chp

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false