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Der Regisseur Arthur Penn wurde 88 Jahre alt.

© dpa

Nachruf: Arthur Penn: Der Lichtzauberer

Von "Little Big Man" bis "Bonnie und Clyde": Der große Regisseur Arthur Penn ist tot. Licht und Schatten waren für ihn nicht nur Stilmittel, sondern Gegenstand der Erzählung.

„Licht im Dunkel“ (1961), Arthur Penns zweiter Film, ist die Geschichte des taubblinden Mädchens Helen Keller und ihrer halbblinden Lehrerin Annie Sullivan. Helen ist in ihrem Gartenhaus wie in einem Käfig eingeschlossen, und Penn erklärt „eine Einstellung, die ich besonders mag: Sie kommt durch die Tür in den großen Raum und läuft tastend umher. Der Kameramann saß in einem Rollstuhl und folgte dem Mädchen mit der Kamera, bis es wieder zum Ausgangspunkt gelangte und auf den Boden fiel. Wir hatten eine Vorrichtung gebaut, mit der wir den Boden unter dem Kameramann absenkten und es ihm ermöglichten, mit seiner Kamera auf die Höhe von Helens Gesicht zu gelangen. So konnte der Zuschauer fühlen, dass der Boden, die Wände, die Decke, dass dieses Zimmer für das Kind eine einzige Falle war.“

Licht und Schatten, das ist für Penn nicht nur Stilmittel, sondern Gegenstand der Erzählung selbst. Immer wieder experimentiert er mit Bildern und Tönen; er „subjektiviert“ technische Mittel wie unterbelichtete, grobkörnige, halb verschleierte Bilder, Zeitlupe, Unschärfen, Tonausblendungen, sprunghafte Schnittfolgen oder lange Einstellungen, um die Isolation seiner Figuren und ihre eingeschränkte Wahrnehmung spürbar zu machen.

Begonnen hat Arthur Penn in den fünfziger Jahren ähnlich wie Frankenheimer, Lumet oder Peckinpah. Immer wieder geht es ihm um das Motiv Blindheit oder Blendung, das heißt: Versehen und Erkennen, psychisch oder metaphorisch. Clydes Schwägerin (in „Bonnie und Clyde“) und der alte Häuptling (in „Little Big Man“) erblinden. In „Billy the Kid“ (1958) steht der Revolverheld auf dem Balkon im Sonnenlicht, von einer Gloriole umgeben, und erschießt sein geblendetes Opfer. Der erste Spielfilm von Arthur Penn: ein Western, der den Westernmythos zerstört. Ein Held, der die Ohnmacht der „lost generation“ verkörpert. Ein Genremuster, das sich in seinem berühmtesten Film, der Gangsterballade „Bonnie und Clyde“ (1967) wiederholt. Die letzte Szene ist Filmgeschichte: „Vom ersten Moment an herrscht das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt. Dann wird es ganz still. Mit einem Mal fliegen die Vögel auf, die beiden starren sich an, und da wird ihnen klar, das ist unser Ende, gleich werden wir sterben.“ So beschreibt Arthur Penn das in slow motion zerdehnte orgiastische Ritual.

Der „schmutzige Gangsterfilm, der sich an leerer Gewalt ergötzt“, so schrieben Kritiker zunächst, trifft den Nerv der Zeit. Der Krieg in Vietnam, die politischen Morde, die sozialen Unruhen in den Städten spiegeln sich in der Depression der dreißiger Jahre mit dem Outlaw-Paar und seinem New Deal aus Bankraub, Entführungen, Morden und dem Untergang im Kugelhagel. Die Sequenz ist ein Paradebeispiel für die visuelle Rhythmisierung, sie wurde mit vier Kameras in der gleichen Blickachse und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten aufgenommen. Aus der Darstellung extremer Gewalt entwickelt sich eine Art lyrischer Überhöhung. Die letzten Augenblicke der romantischen Geschichte von Bonnie und Clyde münden in einem makabren Massaker, und während die beiden sterben, werden sie schon zu Ikonen der Gegenkultur der sechziger Jahre.

„Little Big Man“(1972) beginnt als humorvolle Legendengeschichte aus der Pionierzeit, bis sich der paranoide Krieg gegen die Indianer entlädt; und der klassische Detektivfilm „Die heiße Spur“ (1974) wird zum „Sundowner der New-Hollywood-Ära, der das Ende aller Hoffnungen der Sechziger in sich trägt“ (Dominik Graf). Bezeichnenderweise wurden die Qualitäten Arthur Penns in Europa viel früher erkannt als in Hollywood. Daher freundete er sich mit Godard und Truffaut an. Eine kleine ironische Hommage an die Nouvelle Vague legt er seinem Detektiv Gene Hackman in den Mund, als er sich weigert, einen Rohmer-Film anzuschauen: „Nein danke, ich habe schon mal einen Film von Rohmer gesehen. Es war, als ob man zuschaut, wie Farbe trocknet.“ – Einen Tag nach seinem 88. Geburtstag, am 28. September, ist Arthur Penn gestorben.

Helmut Merker

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