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Gore Vidal in seinem Haus in Los Angeles.

© AFP

Nachruf auf Gore Vidal: Narziss und Schandmaul

Der Schriftsteller Gore Vidal ätzte gegen das US-Establishment, dem er selbst angehörte. Jetzt ist er 86-jährig in Los Angeles gestorben. Zum Tode eines lustvollen Provokateurs.

Kann es irgendwo herrlicher sein, majestätischer, sonniger? Wohl kaum. Und der Hausherr wusste das. Er führte seine Besucher auf den Balkon, der über die steil abfallenden Felsen ragte, linker Hand der Ort Ravello, tief unten wogte unhörbar das Meer, weiße Schiffchen waren zu sehen. Gore Vidal stand da, die grauen Haare gescheitelt, im karierten Holzfällerhemd; er genoss das Staunen der beiden Journalisten, die aus Berlin angereist waren, um ihn zu interviewen. La Rondinaia hieß dieser Flecken an der italienischen Amalfiküste, den Vidal Anfang der 70er Jahre gekauft hatte. Kein Haus, mehr ein weißes Schlösschen als eine Villa. Und dann sagte er, ganz beiläufig: „Es ist nichts Besonderes, aber es gehört mir.“

Pose war das, gepflegtes Understatement, lustig, provokant – all das, was Gore Vidal als Schriftsteller ausmachte, als Essayisten, als Drehbuchschreiber, als Theaterautor, als linken Kritiker des Establishments, in das er selbst hineingeboren war und in dem er sich auch bewegte. Und das er mit großem Vergnügen mit Sarkasmus überzog.

Wenn man ihn auf Henry Kissinger ansprach, der manchen bis heute als weltpolitisches Orakel gilt, ätzte er lächelnd: „Im Grunde eures Herzens liebt ihr Deutschen eben Kriegsverbrecher.“

Norman Mailer? „Seine Verleger verlieren nur Geld mit ihm.“

Truman Capote? „Die meiste Zeit betrunken und blubberte vor sich hin.“

Einen seinen politischen Gegner nannte er „Kryptofaschist“.

Und Charlton Heston, Schauspieler und Waffenfreund? „Ein kompletter Trottel.“

Bereits der junge Vidal hatte das puritanische Amerika mit dem Bekenntnis geschockt, er habe schon bis zu seinem 25. Lebensjahr 1000 verschiedene Sexualpartner gehabt, Männer ebenso wie Frauen.

Vidals erste Biografie „Palimpsest“ liest sich wie ein Who’s Who der Vereinigten Staaten. Mit vielen aus dem politischen Washington ist er weitläufig verwandt (Al Gore etwa), im Clan der Kennedys ist er zeitweise zu Hause. Zweimal bewirbt er sich selbst um ein politisches Amt (’68 und ’82) und scheitert.

Dazu Hollywood: Am Skript für den Film „Ben Hur“ hat er mitgeschrieben. Dazu der Broadway. 520 Aufführungen erlebte dort sein Stück „The Best Man“. das 1964 mit Henry Fonda verfilmt wurde, und selbstverständlich kam auch die Filmfassung aus Vidals Feder.

Sein Gesamtwerk ist opulent. Dutzende Romane, sogar Krimis (unter dem Pseudonym Edgar Box), historische Schinken ebenso wie aktuelle politische Kommentare, die er gern mit frechem Zungenschlag unterlegt.

Am 3. Oktober 1925 wird er als Eugene Lutzer Vidal jr. geboren, in der Militärakademie West Point. Der Vater arbeitet dort als Fluglehrer, er wird später mehrere Fluggesellschaften gründen; die Mutter, eine Schauspielerin, lässt sich bald scheiden. Der Sohn studiert und beginnt früh mit dem Schreiben, mit 21 veröffentlicht er „Williwaw“, sein Stil: „Hemingway-like“ („New York Times“); Vidal verkehrt mit Tennessee Williams, Christopher Isherwood, Anais Nin. Wenig später folgt „The City and the Pillar“, den man heute wohl einen Coming-out-Roman nennen würde und der prompt für einen Skandal sorgt. „Myra Breckenridge“ dann, 1968, bringt Gore Vidal einen Welterfolg; es sind die Erlebnisse eines Homosexuellen, der zur Frau wird.

Genau zwölf Jahre ist der Besuch in Vidals Haus nun her. Er saß beim Gespräch im Arbeitszimmer, einem düsteren Raum. Er lästerte über den Zirkus der Literaturpreise und zeigte auf einen, der ihm gerade verliehen worden war. Dass er unter der Ignoranz des amerikanischen Feuilletons litt, bekannte er offen. Dann huschte Howard Austen an der offenen Tür vorbei, mit dem er 53 Jahre lang lebte – ohne jemals zusammen Sex zu haben, dieses Bonmot war ihm wichtig. Er strich über seine Knie, die schmerzten, erzählte von der vererbten Diabetes; nicht, ohne Witze über die Gebrechlichkeit zu machen. Hier empfing er Prominente von Sting bis Hillary Clinton, die wohl von seinem Intellekt und Charme angezogen waren.

Das Leben am Hang wurde den beiden Alten zu mühsam, Vidal verkaufte La Rondinaia für 15 Millionen Euro, sie zogen in die Hollywood Hills, wo immer ein eigenes Anwesen wartete und bessere medizinische Versorgung. Vor neun Jahren starb Austen, Vidal schrieb weiter, polemisierte weiter. Doch: „Je älter Sie werden, desto klarer steht er da und wartet, der Tod.“ Nun ist er ihm, 86-jährig, in L.A. begegnet. Norbert Thomma

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