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Ilse Pagé, um 1980.

© imago/United Archives

Nachruf auf Ilse Pagé: Ein Oststar aus dem Westen

Für die Hauptrolle im Defa-Halbstarkenfilm "Berlin - Ecke Schönhauser" wurde Ilse Pagé auf der Straße entdeckt. Jetzt starb sie mit 78 Jahren.

Wenn die Nacht am tiefsten ist: Halt’ dich an deiner Liebe fest. Am Ende des großartigen Defa-Halbstarken-Films „Berlin – Ecke Schönhauser“ (1957) schlendern die Helden Angela und Dieter, gespielt von Ilse Pagé und Ekkehard Schall, unter der nachtdunklen, funzlig beleuchteten Hochbahn entlang. Sie sind jetzt ein Paar. „Sag, dass du mich lieb hast“, bittet Angela. Dieter sagt: „Ich hab’ dich sehr lieb.“ Dann küsst sie ihn. Die Szene spielt, wie fast der ganze Film, am U-Bahnhof Schönhauser Allee, an dem der Schriftzug des „Neuen Deutschland“ hängt. „Warum kann ich nicht leben, wie ich will?“, fragt der Aufrührer Dieter seinen Bruder, einen Volkspolizisten. „Warum habt ihr immer lauter fertige Vorschriften?“ Die Nachkriegskinder in Gerhard Kleins neorealistischem Kiez-Melodram sind Rebellen ohne Grund, die aber am Ende von einem Ausbruchsversuch an den Kudamm in den Prenzlauer Berg zurückkehrten, um beim Aufbau des Sozialismus mitzuhelfen.

Ein Oststar aus dem Westen

Ilse Pagé, 1939 in Berlin geboren, lebte im Westteil der Stadt, als sie vom Ostberliner Kameramann Wolf Göthe auf der Straße angesprochen wurde. Bei Probeaufnahmen setzte sie sich unter 1000 Bewerberinnen für die weibliche Hauptrolle durch. „Erst nach dem fünften Vorstoß wurde mein Vater weich, sicher wegen des einzigartigen Vertrages: Ich bekam Mathe-Nachhilfe, Ich bekam eine Schreibmaschine, einen Gutschein für ,Exklusiv’-Moden und 5000 Westmark.“ Es folgte eine bemerkenswerte Filmkarriere. Die burschikose Darstellerin bekam Rollen in „Schwarzer Kies“ von Helmut Käutner, „Ganovenehre“ von Wolfgang Staudte, „48 Stunden bis Acapulco“ von Klaus Lemke, in Edgar-Wallace-Filmen wie „Der Mann mit dem Glasauge“ von Alfred Vohrer und in der Oscar-gekrönten Grass-Verfilmung „Die Blechtrommel“ von Volker Schlöndorff. Daneben stand sie, engagiert vom damaligen Intendanten Boleslaw Barlog, im Schillertheater auf die Bühne.

Verrückt werden mit Klaus Kinski

Kritiker lobten sie gönnerhaft als „appetitlich“ in Brechts Lehrstück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ oder als „deftig“ im surrealen Drama „Die Mondvögel“ von Marcel Aymé. Peter Zadek hat die Theatervorlage mit ihr und Klaus Kinski verfilmt. Auch das Fernsehen mochte nicht auf Pagé verzichten, sie spielte in erfolgreichen Sechziger-Jahre-Serien wie "John Klings Abenteuer" und "Percy Stuart". Als Synchronsprecherin lieh sie Genie Tierney ("Laura"), Karen Black ("Der Tag der Heuschrecke"), Marie Versini ("Winnetou") und Grace Lee Whitney ("Raumschiff Enterprise") ihre Stimme. Zuletzt trat sie im Hansa-Theater in Moabit auf, einem 1888 eröffneten Volkstheater, das im Jahr 2009 geschlossen wurde. Ilse Pagé ist, wie die Familie mitteilte, bereits am 19. Juni gestorben. Sie wurde 78 Jahre alt.

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