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Nachruf: Ein Leben fürs Theater: Stefan Brecht ist tot

Am Ostermontag starb Stefan Brecht nach langer Krankheit. Er galt immer als Bertolt Brechts ferner Sohn.

Von Gregor Dotzauer

Sein New Yorker Revier war die 8th Avenue. Allmorgendlich, bis ins höhere Alter, brach Stefan Brecht von seiner Wohnung in Greenwich Village zu seinem Schreibzimmer im berühmten Chelsea Hotel auf, wo er an seinen Schriften über das amerikanische Avantgardetheater der sechziger und siebziger Jahre arbeitete. Der tägliche Weg blieb auch literarisch nicht unbegangen. In schmucklosen Alltagsgedichten hielt er seine Begegnungen mit Pennern, Junkies und Nutten fest – und mit seiner Olympus einen ausgedehnten Frühling des Jahres 1985 lang in menschenleeren Schwarz-Weiß-Aufnahmen die Risse und Schraffuren des Straßenpflasters, über das er spaziert war.

Die „8th Avenue Poems“ (Spuyten Duyvil) von 2005 sind wie die Gedichte, mit denen er die verlegerische Aufmerksamkeit der Beat-Generation-Legende Lawrence Ferlinghetti erregte, keine große Lyrik. Ihnen den Vergleich mit den Versen seines Vaters Bertolt Brecht zuzumuten, ginge auch am Selbstverständnis des 1924 in Berlin geborenen Sohns vorbei, der mit 23 Jahren, als der Vater und seine Mutter Helene Weigel in die Heimat zurückkehrten, beschloss, allein in Amerika zu bleiben. An der University of California und in Harvard studierte er Philosophie, was er in Miami auch lehrte, bevor er mit seiner Frau, der Kostümbildnerin Mary McDonough, nach New York zog, um sich ins Theaterleben zu stürzen.

Eine Frucht dieser Zeit sind die ersten drei Bände der Enzyklopädie „The Original Theatre of the City of New York – From the Mid-Sixties to the Mid-Seventies“. Zwei erschienen im englischen Original auch bei Suhrkamp: „The Theatre of Visions: Robert Wilson“, an dessen Akribie kein späteres Wilson-Buch heranreicht, und „Queer Theatre“, das zwischen Trash und Schwullesbischem das Feld ausmisst. Ein dritter Band widmet sich dem Bread and Puppet Theatre.

Stefan Brecht war Bertolt Brechts ferner – die Schauspielerin Elisabeth Bergner sagte: empörend undankbarer – Sohn. Andere, wie die Weill-Witwe Lotte Lenya, verachten ihn als „destruktive Schnauze“. Aber wer weiß, welche Mühe es ihn kostete, Abstand zur Welt des Vaters zu halten und zugleich ein gewisses ideelles Erbe zu bewahren? Nachdem Frank Banholzer, Bertolt Brechts Sohn aus seiner Verbindung mit Paula Banholzer, 1943 an der deutschen Ostfront gefallen war, blieb Stefan, der 1944 zur US Army eingezogen, aber nicht mehr in den Krieg geschickt wurde, als einziger Sohn übrig. In zweiter Ehe mit Rena Gill verheiratet, wurde er – neben seiner Schwester Barbara Brecht-Schall und der Halbschwester Hanne Hiob aus Bertolts Ehe mit Marianne Zoff – Teil der dreiköpfigen Erbengemeinschaft. Am Ostermontag ist er nach langer Krankheit mit 84 Jahren in New York gestorben. 

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