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 Herr mit Haltung. F. W. Bernstein vor einer zehn Meter langen Karikatur im Museum für Komische Kunst in Frankfurt am Main, das ihm und seinem Werk 2013 zum 75. Geburtstag eine Ausstellung widmete.

© imago/epd

Nachruf F.W. Bernstein: Das Tier in mir

Sinn durch Nonsens schaffen: Zum Tod des Berliner Dichters und Zeichners F. W. Bernstein

Von Gregor Dotzauer

Muss es zum Abschied gleich der Zweizeiler sein, der ihn unsterblich gemacht hat? Oder lässt er sich, weil F. W. Bernsteins wortklabauterische Meisterschaft zuletzt im Sterblichen, Allzusterblichen lag, doch noch eine Weile hinausschieben? Durch seine „Frischen Gedichte“, 2017 im Verlag von Antje Kunstmann erschienen, wehte schon der süßliche Geruch des Todes. „Die Zeit ist um“, hieß es da. „Es ist so weit. / Wir sind schon in der Nachspielzeit. / Schlusspfiff! Jetzt wird auferstanden! / Skelette raus, soweit vorhanden; auf die Bühne zum Finale! / Weltgericht!“ Solche Zeilen bestanden zwar nicht mehr den Zwerchfelltest der jungen Jahre. In ihrer bitteren Selbstironie zeugten sie, gebrechlich, wie Bernstein geworden war, vielmehr von einem gequälten Lächeln. Aber sie streckten sich noch immer lieber in Richtung höheren Unsinns als in Richtung höherer Literatur.

Mit moritatenhaftem Schmiss, Wilhelm Buschs unzerstörbarer Munterkeit als Zeichner und Dichter stets näher als einem Vanitas-Schandmaul wie Peter Rühmkorf, versuchte er, dem Unausweichlichen ins Auge zu sehen. Bernsteins Spottlust war dabei allgegenwärtig. „Rilke erfindet das Dinggedicht. / Einige Dinge dichtet er nicht“, schrieb er an anderer Stelle. „Die Wurzelbürste ist so eine: / In Rilkes Werken findest du keine. / Keiner von all den Dichterfürsten / kümmerte sich um Wurzelbürsten.“ Darauf muss man erst mal kommen, zumal die „Inspiration“ sich als spürbar unzuverlässige Gefährtin erwies: „Als mich früh mein Dämon rief, / lag ich flach im Leistungstief. / Fahr ich meine Lyrik hoch / LYRIK HOCH / Geht doch noch.“

Tapfer schürfte er in sich nach dem Komischen, wobei es nicht ausbleiben konnte, dass er an manchen Tagen mit leeren Händen zurückkehrte. Am Ende entstanden im Gefolge dieses poetischen Untertagebaus aber herrlich unangestrengt wirkende Verse. Insbesondere Tiergedichte, in denen er das Lächerliche des Menschenlebens spiegelte, hatten es ihm angetan. Bernsteins „Tierleben“ fasst die Lage so: „Ob es uns groß gekümmert hatte? / Es war uns schnurz! / Das Leben unsrer Eintagsratte / war kurz. // Es muss ein längeres Leben geben: / das des Klaviers. / Klingt auch viel besser, dieses Leben / als wie der Ratte ihrs.“

Zurückhaltendes Temperament

Der überaus höfliche und besonnene Schwabe aus Göppingen, der zur Künstlerwerdung seinen bürgerlichen Namen Fritz Weigle auf die Initialen verkürzte und ihnen seinen Spitznamen aus Schulzeiten anhängte, besaß ein stilles künstlerisches Talent. Unter den Zeichnern und Textern, die seit 1981 durch den spontan entstandenen Titel einer Gruppenausstellung als Neue Frankfurter Schule firmierten, hatte er jedenfalls sein eigenes zurückhaltendes Temperament – und das Bedürfnis nach einem bürgerlichen Leben ohne den Druck der freien Existenz. An der Kunstakademie Stuttgart hatte er 1957 zu studieren begonnen und dort Robert Gernhardt kennengelernt, mit dem er im Jahr darauf an die Berliner Hochschule der Künste wechselte.

Ein Vierteljahrhundert später, im Jahr 1984, übernahm er dort eine Professur für Karikatur und Bildgeschichte. Stationen zuvor waren die Pädagogische Hochschule in Göttingen, wo er Zeichenlehrer ausbildete, und Gymnasien in Frankfurt und um Frankfurt herum, wo er auch Deutsch unterrichtete. Wie Chlodwig Poth, Hans Traxler oder Pit Knorr kam er aus dem Stall des Satiremagazins „Pardon“, für das er von 1964 an zusammen mit Robert Gernhardt und F. K. Waechter die Beilage „Welt im Spiegel“ erfand.

„WimS“, die „unabhängige Zeitschrift für eine saubere Welt“ in der Zeitschrift, mit einem trotzigen „Pro bono, contra malum“ im Signet, wirbelte die traditionellen journalistischen Formen auf kleinstem Platz durcheinander. In Wort, Strip und Cartoon probten die WimSler den Aufstand des Nonsens gegen die erdrückenden Sinnzuweisungen der Nachkriegswelt. In Gestalt des neunmalklugen Universalgelehrten Arnold Hau, den Alfred Edel filmisch mehrfach eindringlich verkörperte, schuf das Trio überdies seine eigene Deutungsinstanz.

Klimawechsel bei der "Titanic"

Der Geist dieser Aufbruchsjahre, gleichermaßen immun gegen jedes bildungsbürgerliche Pathos wie den hochtönenden Jargon, der sich im Gefolge der Ideologiekritik von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno unter linken Intellektuellen breitmachte, konnte nicht von Dauer sein. Während die spezifische Art der Ironie, die Bernstein und Gernhardt pflegten, zu einer neuen lingua franca des deutschen Komödianten- und Kabarettistentums wurde, wuchsen in der „Pardon“ die internen Spannungen. Von 1979 an veröffentlichte Bernstein in der als Konkurrenz gegründeten „Titanic“. Von den subtilen Bosheiten ihrer Anfangsjahre hat sie sich heute zu einem Brutalzynismus entwickelt, mit dem Bernstein nicht glücklich gewesen sein kann.

Hier muss nun endlich der Dauerbrenner zitiert werden, der noch die Runde machen wird, wenn Bernstein selbst einmal vergessen ist: „Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche.“ Mindestens so haltbar ist indes ein anderer Klassiker: „Wachtel Weltmacht? / Schaut euch nur die Wachtel an! / Trippelt aus dem dunklen Tann; tut grad so, als sei sie wer. / Wachtel Wachtel täuscht sich sehr. / Wär sie hunderttausend Russen, / hätt den Vatikan zerschussen / und vom Papst befreit – ja dann: / Wachtel Wachtel Dschingis-Khan! / Doch die Wachtel ist nur friedlich, / rundlich und unendlich niedlich; / sie erweckt nur Sympathie. / Wachtel Weltmacht wird sie nie!“ Am Donnerstag ist F. W. Bernstein, diese Steglitzer Weltmacht der Hochkomik, im Alter von 80 Jahren gestorben.

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