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Alternativer Realist. Matthew Sweeney.

© Neil Astley

Nachruf Matthew Sweeny: Der irische Dichter Matthew Sweeney ist tot

Irischer Lyriker mit Passion für die deutsche Literatur: Matthew Sweeney ist im Alter von 66 Jahren gestorben.

Der irische Lyriker Matthew Sweeney ist, wie der Hanser Verlag mitteilt, am Sonntag im Alter von 66 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit gestorben. 1952 im County Donegal geboren, veröffentlichte seit den 1980er Jahren Gedichtbände und Kinderbücher. Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt er für seinen Band "Horse Music" 2014 den Pigott Poetry Prize. In deutscher Übersetzung erschienen unter anderem 2008 der Auswahlband "Rosa Milch" und 2017 "Hund und Musik", beide übertragen von Jan Wagner. Sweeney hatte in London und Freiburg studiert und sich immer intensiv mit mit der deutschsprachigen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts aueinandergesetrzt. Ein besonderes Faible hatte er für Büchner, Kleist, Trakl, Kafka, Grass, Böll: „Die Tradition, in der ich verwurzelt bin, die irische Tradition“, sagte Matthew Sweeney einmal, „ist offen für das, was ich als ,Alternativen Realismus’ bezeichne, dafür, die Grenzen des Realismus zu überschreiten. Und sie lädt dazu ein, Komisches und Ernstes zu vermischen. Dann entdecke ich auf einmal an einer anderen Ecke genau das Gleiche, nur mit einem Anstrich von Düsterkeit – europäischer Düsterkeit.“

Katharina Narbutovic schrieb über "Rosa Milch" im Tagesspiegel: Beide Traditionslinien haben Eingang in Matthew Sweeneys vortrefflich von Jan Wagner übersetzte Gedichte „Rosa Milch“ gefunden, in denen er mit wenigen Strichen von unerhörten Begebenheiten sowie den Abgründen des Alltags erzählt: vertrackte Geschichten wie im titelgebenden Gedicht, in dem ein Abt und seine Mönche dem Wunder der „Rosa Milch“ auf der Spur sind; wie in „Die Türen“, wo in einem verlassenen Haus die Figuren auf den alten Porträts einen plötzlich anblicken, die Schlösser in den Türen von allein zuschnappen und man sich als Leser in einem verschachtelten System wie von M. C. Escher wiederfindet, ohne je zu begreifen, wie man da hineingeraten ist; wie in „Sweeney“, in dem einem Mann Federn durch die Poren wachsen, er sich als Krähe auf der Eiche hinterm Haus wiederfindet, sich im Nestbau übt und jedesmal geknickt aufkrächzt, wenn er „jemanden mit einer Flasche Wein“ oder den „indischen Lieferservice“ vorfahren sieht.

Mit dem Spaten des Erzählers

Über "Hund und Mond" schrieb Gisela Trahms zuletzt: "Sweeney beackert sein dichterisches Feld mit einem hierzulande ziemlich selten benutzten Werkzeug: dem Spaten des Erzählens. Erstaunliche, skurrile, melancholische Geschichten kommen uns in mühelos fließenden Versen entgegen, ohne Reimzwang, ohne Abstraktionsehrgeiz, bildreich und bezaubernd. Sie stellen uns eine Welt vor Augen, die wir kennen, erweitert um jene Zonen, denen Schwerkraft, Logik oder Alltagsmonotonie gewöhnlich einen Riegel vorschieben.

In zehn Zweizeilern berichtet da ein Mann, wie er hinterm Werkzeugschuppen einen Schlüssel vergräbt, den Hund in die Freiheit entlässt, in eine blaue Hängematte steigt, an Clint Eastwood und Spaghettiwestern denkt und sich darauf freut, in Lissabon Brechts Gesamtwerk zu übersetzen. Was für ein Plan! Aber die Birke reckt sich schließlich auch bis zum Mond, und die Möwen in der Alfama sind „sehr musikalisch. / Die Krähen verbringen die meiste Zeit am Boden.“ Damit hört das Gedicht auf. Der Leser sollte jetzt nicht „Ja und?“ fragen, sondern Ennio Morricones Musik mitsummen, sich für die Vielfalt der Szenen bedanken und höchstens fragen, welcher Schlüssel vergraben wurde und ob es denn in Gottes Namen je eine Chance gibt, sich von einer Krähe in eine Möwe zu verwandeln.

Ein paar Jahre hat Matthew Sweeney in Berlin verbracht, davon zeugt unter anderem „Heckewald“, eine Stadtmoritat, die so beginnt: „Heckewald ist tot. Heckewald is dead“ und fortfährt: „Heckewald will eat no more Currywurst, as he rushes to the U-Bahn in the morning /… Where has he vanished to, Heckewald? / Has somebody knifed him in Neukölln“, um schließlich mit der Frage zu enden: „Should I put an ad in Tagesspiegel, saying  / Heckewald is dead ...?“ Er dachte beim Schreiben wohl nicht an seine eigene Todesanzeige. Tsp

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