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Kultur: Nahost: Ein Prozess gegen den Frieden

Es war Schimon Peres, Israels Außenminister, der am Dienstagmorgen versicherte: Das Leben von Jassir Arafat sei nicht in Gefahr. Kurz zuvor hatte die israelische Armee ein Polizeigebäude in Ramallah bombardiert - nur wenige Meter entfernt, aber noch im gleichen Komplex, saß der Palästinenserpräsident in seinem Büro.

Es war Schimon Peres, Israels Außenminister, der am Dienstagmorgen versicherte: Das Leben von Jassir Arafat sei nicht in Gefahr. Kurz zuvor hatte die israelische Armee ein Polizeigebäude in Ramallah bombardiert - nur wenige Meter entfernt, aber noch im gleichen Komplex, saß der Palästinenserpräsident in seinem Büro. Er überlebte. Peres selbst hatte noch in der Nacht gedroht, die Koalition unter Führung von Premier Scharon zu verlassen, gerade weil er fürchtete, dass die Reaktionen auf die Anschläge weit gehen könnten. Irrte Peres gestern also? Will Scharon nun auch Arafat liquidieren, wie zuvor bereits einige Radikalen-Führer?

Zumindest Frankreichs Außenminister ließ an dieser Vermutung keine Zweifel. Er sagte: Arafat werde durch die Angriffe der israelischen Armee geschwächt. "Anschließend nimmt man diese Schwächung dann als Argument, um zu sagen: Weil er bei sich nicht für Ordnung sorgen kann, muss man ihn irgendwie beseitigen." Diese Politik sei offenbar bewusst gewählt worden.

In der Nacht hatte Ariel Sharon dem Terror den Krieg erklärt, er hatte Jassir Arafat für die Anschläge verantwortlich gemacht. Aber er hatte ihn nicht als Zielperson genannt, die es auszuschalten gelte. Dennoch spitzt sich die Lage immer mehr zu einem Duell der beiden Intimfeinde zu. Scharon jedenfalls schickte nicht nur Panzer und Soldaten, um einige autonome Städte zu besetzen, er ließ auch Kampfflugzeuge vom Typ F 16 und Kampfhubschrauber ihre Raketen auf palästinensische Gebäude schießen. Wenn Scharon Arafat auch nicht gezielt töten will, so will er ihn zumindest gezielt ärgern, reizen, provozieren, bestrafen - ja demütigen. Deshalb ließ er Arafats persönliche Hubschrauber zerstören und Arafats Garage samt dessen Fuhrpark bombardieren.

Unerbittlich gegen seinen Feind

Ran Cohen, oppositioneller Meretz-Abgeordneter, Ex-Minister und selbst hoher Reserveoffizier, warnte am Dienstag davor, dass Scharons Vorgehen erfahrungsgemäß verheerende Folgen haben werde: "Wir tun so, als ob wir nicht im Nahen Osten, sondern in Schweden leben. Wir haben noch nicht begriffen, dass im Nahen Osten die Erniedrigung politischer Führer nicht Flexibilität und Ausgleich nach sich zieht, sondern Gewalt und noch größeren Hass."

Die Erfahrung und Scharons Biografie lehren, dass dieser, einmal aller militärischen und politischen Fesseln entbunden, unerbittlich einen einmal erkorenen Feind verfolgt mit dem Ziel, ihn irgendwann einmal zu vernichten. Jahrzehntelang kämpft nun Scharon schon gegen die Palästinenser und deren Anführer Arafat. Die vom wagemutigen, aber auch skrupellosen jungen Kommandanten "Arik" zusammengestellte "Einheit 101" hatte in den 50er Jahren die Aufgabe, die damals "arabische Fedayun" genannten palästinensischen Kommandos von ihren Überfällen auf israelisches Staatsgebiet abzuhalten. Scharon rottete den Feind mit unkonventionellen, aber immer rücksichts- und mitleidslosen Methoden regelrecht aus.

Im Visier der Scharfschützen

1982, als Verteidigungsminister unter dem ersten rechtsnationalen Ministerpräsidenten Menachem Begin, schickte Scharon unter einem Vorwand die Armee in den Libanon, angeblich nur 40 Kilometer tief, um Sicherheit für die galiläischen Ortschaften zu schaffen, in Wirklichkeit um Jassir Arafat aus dem nördlichen Nachbarland zu vertreiben. Arafat war in Westbeirut unzählige Male im Visier israelischer Scharfschützen, doch durften diese nicht abdrücken. Wer ihnen dies verboten hatte, steht nicht fest, doch scheint die Annahme, dass es Begin war und nicht Scharon, wohl begründet.

Spätestens seit dem Massaker, das die christlichen Milizen in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatilla anrichteten - unter den Augen der israelischen Militärs - ist Scharon aus palästinensischer Sicht Feind Nr. 1. Was durch Scharons provokativen Besuch auf dem Tempelberg nur bestärkt wurde. Der Besuch löste nicht nur die "Al-Akza-Intifada" aus, sondern diente auch der erneuten Erniedrigung Arafats: Während Scharon mit massivstem Polizeischutz in das moslemische Heiligtum einmarschierte, ist Arafat der Besuch desselben immer noch von Israel verboten.

Doch dann sprachen Israels Wähler Scharon von der Verantwortung für den palästinensischen Aufstand frei, indem sie ihn mit riesiger Mehrheit wählten. Und entgegen den weitverbreiteten Befürchtungen schlug Scharon nach seiner Wahl nicht wild um sich, sondern gab immer wieder der "weichen Linie" seines Koalitionspartners und Außenministers nach. Mit zunehmender Gewalt aber von Seiten der Palästinenser und dem Druck seiner nationalistischen Gesinnungsfreunde verlor er die Geduld.

Die eigene Bevölkerung, verunsichert und verängstigt angesichts des islamistischen Terrors und der Ausweglosigkeit der Lage, zieht mit. Scharon ist heute populärer denn je. Am Dienstag wurden die Ergebnisse einer Meinungsumfrage, welche die Arbeitspartei bestellt hatte, bekannt, die eine einzigartige Situation aufzeigten: Selbst die Arbeitsparteimitglieder ziehen Scharon als Regierungschef ihren eigenen Leuten vor.

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