zum Hauptinhalt

Kultur: Nahost-Konflikt und Wahlen in Israel: Über den Tempelberg zum Frieden

Der Mann hat sich verändert. Sagt er.

Der Mann hat sich verändert. Sagt er. Er sei "weiser" geworden, so beschreibt Benjamin Netanjahu sich selbst. Zumindest sieht er anders aus. Mit silbrig-grauen Haaren steht er am Pult des Sonderparteitages der rechtsgerichteten Likud-Partei. Gefärbt sind sie. Auch an seiner Körpersprache muss er gearbeitet haben. Er gestikuliert nicht mehr so hektisch wie noch vor einem Jahr. Was Netanjahu sagt, ist wenig spektakulär: Er werde einen klaren und realistischen Weg einschlagen, der am Ende Sicherheit und Frieden bringen werde. Er hat auch schon mal griffiger formuliert, früher.

Dabei will sich Benjamin Netanjahu mit seiner Rede als Kandidat für die Neuwahl empfehlen, die für den 6. Februar angesetzt ist. Er plant das Comeback. Ministerpräsident will er wieder werden, was er schon einmal zweieinhalb Jahre lang war. Und Netanjahu wird wohl nicht der einzige Herausforderer von Amtsinhaber Ehud Barak sein, der Berufserfahrung mitbringen würde. Auch Friedensnobelpreisträger Schimon Peres überlegt, wieder anzutreten.

Peres lässt sich noch nicht feiern wie Netanjahu. Kürzlich traf er erst einmal den Chef der linken Meretz-Partei, Yossi Sarid, zum Gespräch. Wenn Sarids Fraktion in der Knesset Peres nominiert, könnte sich in Israel die Geschichte wiederholen. Netanjahu gegen Peres, das Wahlkampfduell gab es schon einmal vor fünf Jahren. Damals gewann Netanjahu knapp mit 30 000 Stimmen. Im Mai 1999 eroberte dann Barak das Amt des Regierungschefs für die Arbeiterpartei zurück.

Seither hat sich Netanjahu aus der Politik zurückgezogen. Doch jetzt ist er wieder da, rundum erneuert. Ohne Ehefrau Sara zum Beispiel, die während seiner Amtszeit oft durch peinliches Auftreten für Schlagzeilen sorgte; Netanjahu ließ sie beim Parteitag in Tel Aviv einfach zu Hause. Sein strategisches Ziel, so definiert Netanjahu knapp, sei ein "kalter Friede". Die rund 3000 Delegierten des Sonderparteitages applaudieren ihm heftig. "Bibi, der König von Israel", skandieren sie laut. Haben sie etwa vergessen, dass Netanjahu im März vergangenen Jahres über Nacht alle Ämter hinwarf und die Partei als Scherbenhaufen hinterließ? Dass der Rechtsaußen Ariel Scharon es war, der Likud langsam aus dem Tief herausführte?

Wer schon ein paar Likud-Treffen erlebt hat, diese lautstarken, überbordenden Veranstaltungen, der bemerkt sofort, dass die "König von Israel"-Rufe nicht wirklich euphorisch gemeint sind. Man könnte sie mit verhaltenem Applaus auf einem Parteitag irgendeiner deutschen Partei vergleichen. Früher herrschte unter den Likud-Delegierten atemlose Stille, bevor Netanjahu auftrat. Sobald der Begleitscheinwerfer ihn erfasste, brach ohrenbetäubender Jubel aus. Früher brauchte Netanjahu zehn Minuten, um sich mit seinen Bodyguards zur Bühne durchzudrängeln. Diesmal schaffte er es in nicht mal zwei Minuten. Auch ebbte der Applaus schnell ab. Wenn der Likud Netanjahu zu seinem Kandidaten macht, ist das auch eine Entscheidung der Vernunft: Parteichef Ariel Scharon, wissen die Delegierten, würde allenfalls einen knappen Sieg gegen Barak erringen. Netanjahu würde den noch amtierenden Premierminister dagegen deutlich schlagen.

Auch für die Linke, das Friedenslager, könnte die Kandidatenkür zum Rechenexempel werden: Das beste Argument, das Peres hat, ist, dass er bei der letzten Sonntagsfrage des Gallup-Institutes deutlich besser gegen Netanjahu abschnitt als Barak. Nur neun Prozent betrug sein Rückstand, Baraks lag dagegen 19 Prozent hinten. Entscheidend sind aber die Umfragewerte unter den arabischen Israelis, ohne die kein Kandidat der Linken eine Siegchance hat. Diese Gruppe hegt großes Misstrauen gegen Barak, seit er die letzten Unruhen der arabischen Minderheit mit großer Härte der Polizei niedergeschlagen hat. Aber das Bild der "Taube" Peres gegen den Hardliner Barak trügt. Der Friedensnobelpreisträger kritisierte Baraks Konzessionsangebote bei den letzten Friedensverhandlungen in Camp David und bezüglich des Tempelbergs als zu weitreichend: Niemals, so sagt Peres, würde er einer Teilung Jerusalems zustimmen.

Doch bevor es zum Showdown der beiden Alt-Stars kommt, sind noch ein paar bürokratische Hürden zu überwinden. Die Arbeiterpartei hat sich schon auf Barak als Kandidaten festgelegt. So muss Peres mit der linken Meretz-Fraktion in der Knesset verhandeln, damit sie seine Kandidatur unterstützt. Für Netanjahu wiederum muss das israelische Recht geändert werden. Eigentlich darf nur ein Mitglied des Parlaments zum Ministerpräsidenten gewählt werden, aber Netanjahu hat vor anderthalb Jahren sein Mandat niedergelegt. Am Mittwoch hat er schon einen ersten Erfolg erzielt: In erster Lesung stimmt die Knesset für eine Änderung, für eine "Lex Bibi". Und Netanjahu pokert weiter: Er wolle nur noch einmal antreten, wenn nicht nur der Ministerpräsident, sondern auch die Knesset neu gewählt wird, sagte er Ende der Woche. Denn das Parlament sei gelähmt und gespalten. Am Montag wollen die Parlamentsabgeordneten entscheiden.

Doch kaum ist Netanjahu in der Öffentlichkeit zurück, hat ihn schon die Vergangenheit eingeholt. Während er auf dem Parteitag im Cinerama in Tel Aviv sein neues Image zur Schau stellt, lesen die Israelis draußen die alten Korruptionsgeschichten des ehemaligen Premiers. So erklärt Justizminister Yossi Beilin: "Netanjahu befindet sich auf der Grenze zur Kriminalität." Der Chef der Anklagebehörde beschuldigt ihn des unwürdigen Verhaltens im Amt. In den Straßencafés von Tel Aviv zweifeln die Menschen jedenfalls an Netanjahus wundersamer Wandlung: "An dem", sagen sie spöttisch, "hat sich doch nur die Haarfarbe geändert."

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false