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Kultur: Narr ohne Hof

Olga Neuwirth eröffnet die „ MaerzMusik“ im Haus der Berliner Festspiele

Eine Verstörung. Die Musik gewordene Müdigkeit. Ein Gesamtkunstwerk, halb lustlos, halb dilettantisch zerlegt. Krachende Peinlichkeit und schallende Ohrfeige zugleich. Barock goes New Wave, Nummer für Nummer. Rührstück, Reminiszenz, Rätsel: All das und noch sehr viel weniger ist Olga Neuwirths „Hommage“ an die Popgeburt Klaus Nomi, mit dem die Maerzmusik im Haus der Berliner Festspiele nun eröffnet wurde. Eine (vor-)programmierte Enttäuschung. Zumindest für jene Festivalfans und Freunde des Aktuellen, die gar nicht erst erforschen wollen, was es heißt, wenn sich eine derart renommierte Komponistin derart eklatant verweigert.

Zugegeben, es fällt leicht, diesen 75-minütigen Abend abzutun – als Irrtum oder kreative Lähmungserscheinung. Die halbherzig für E-Gitarre, Synthesizer und konventionelles Ensemble arrangierten Ohrwürmer à la Händel, Purcell und Bach lassen einem schier keine andere Wahl, und auch die dazwischen gestreuselten Nomi-Songs mögen zwar Friedrich Holländer, Elvis und den New Yorker Underground der siebziger Jahre bemühen, wirken in ihrem Verzweiflungsgestus aber eher nervtötend als herzergreifend. Zu allem Überfluss – oder muss man sagen: nur konsequent? – heftet sich die Filmemacherin und Regisseurin Ulrike Ottinger weitgehend uninspiriert ans Illustrieren. Vorne rechts ein Wetterhäuschen, aus dem wechselweise der Countertenor Andrew Watts und der Schauspieler Marc-Michael Bischoff treten, Ersterer als Inkarnation des Barocken und ganz in rot, Letzterer in Nomi- typischer kalkweißer Oskar-Schlemmer- Manier, mit riesenhaften Stulpen an Armen und Beinen; hinten eine Leinwand, über die so ziemlich alles flimmert und wackelt, was die Kunstgeschichte in Sachen Tod und/oder Vanitas zu bieten hat; und in der Mitte die Mitglieder der musikFabrik unter Titus Engel, ein Haufen säbelnder, blasender, im Takt sich wiegender Untoter mit Hüten überm skelettierten Grinsen, die vom letzten Betriebsfasching übrig geblieben sind (Ausstattung Yoshio Yabara).

Manchmal nun, wenn die Drehbühne kreist und die Musik ganz still wird und das Licht dunkel und ein buntes Fähnchen im Fahrtwind flattert, atmet die Szenerie tatsächlich so etwas wie Poesie. Manchmal hat auch Thomas Jonigks Text einen schönen, scharfen Witz („Der eigene Tod ist die Diva der Angst“). Dann ahnt man, was Neuwirth am Nomi-Sein fasziniert: jene traumtänzerische Treue zu sich selbst, jenes exzessive Sprengen aller vokalen Genre- und Geschmacksgrenzen, ohne diese als solche überhaupt wahrzunehmen. Klaus Nomi alias Klaus Sperber, im Allgäu geboren, gestorben in New York noch bevor er richtig berühmt werden konnte, Einlassdiener an der Deutschen Oper Berlin (sagt die Legende), Countertenor, Bäcker, Kunstprodukt, eines der frühesten prominenten Aids-Opfer. Ein Fremdling. Ein Narr ohne Hof. Einer, der nicht passt.

Und genau das ist der Punkt. Denn auch Neuwirth, allen Erfolgen und Ehrungen zum Trotz, scheint nicht recht in die Szene zu passen. Hat mit Krisen und Fluchtgebärden auf den steten Konflikt zwischen Anarchie und Geliebtwerdenwollen reagiert – und mit ihrem Oeuvre selbst: mit regelrecht allergischen Reaktionen auf alles nur Intellektualistisch- Konstruktive in der Musik, mit einer radikalen Eigensinnlichkeit. Wenn sie hier und jetzt komponiert, dass es für sie nichts zu komponieren gibt, dann bedeutet dies auch, dass sie sich von den Berliner Maerzmusik-Machern nicht so einfach abspeisen lässt: Ursprünglich war ein großes „Lulu“-Projekt vorgesehen, welches sich zerschlug und wofür die „Hommage“ das Trostpflästerchen sein sollte. Eine Steilvorlage für Neuwirth, flugs dient ihr der so banale wie brüchige Camouflagecharakter einer ganzen Partitur als Metapher des Scheiterns und der Desillusion. Nomi hätte dieses Konzept gefallen, egal, ob er mit seiner Wahrheitssuche nun allein in der Welt steht oder nicht.

Festival-Infos: www.maerzmusik.de

Christine Lemke-Matwey

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