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Kultur: Nasenflügelbeben

Wien-Berlin: Harnoncourt zu Gast in der Philharmonie

Traumhafte Küstenlandschaften, verwinkelte Altstädte und prächtige Schlösser bekommen ihn verliehen, den Titel „Weltkulturerbe“, inklusive Beschilderung und Schutzprogramm. Wenn man ein Klangideal auf diese Art konservieren könnte, dann wollte man die Wiener Philharmoniker immer so durchs musikalische Böhmen streifen hören, wie in der Philharmonie unter Nikolaus Harnoncourt. Generationen von Hrdlickas haben in diesem Orchester gespielt und einen Ton weitergegeben, der so leicht und so melancholisch, so aufbrausend und so verträumt ist, wie es sich für eine Landstrich der Sehnsucht gehört. Einen Ton von luftig-warmen Streichern, subtil verschmolzenen Holzbläsern und herrischem Schlagwerk. Einen Ton, den man in Berlin nie hört - und der auf Wunsch von Simon Rattle künftig regelmäßig in der Philharmonie gastiert.

„Böhmische Nasenflügel“ will Harnoncourt im Publikum sehen, bebend, und Beine, die es nicht mehr am Boden hält. „Wenn’s Sie jetzt nicht zuckt, dann haben wir die erste Hälfte des Konzerts umsonst gespielt.“ Bewahre! Schon der erste von Dvoraks Slawischen Tänzen an diesem Abend zieht hypnotisch in ein stürmisches Wechselbad der Gefühle, aus dem alle folkloristische Behaglichkeit verschwunden ist. Psychotänze, wirbelnde freudianische Couchen entdeckt Harnoncourt in den oft stumpf und blind gespielten Paradenummern.

Wenn er nur einen einzigen der Slawischen Tänze dirigiert hätte, immer wieder, die ganze Nacht, es wäre schon ein beglückendes Erlebnis gewesen. Doch der Charme des Wiener Außendienstmitarbeiters von Simon Rattles Education-Programm gewinnt noch mehr: Schmunzelnde Einsicht in die Motive der verwunschenen symphonischen Märchendichtung „Das goldene Spinnrad“ und die emotionale Schärfentiefe für Smetanas „Die Moldau". Vor dem Hintergrund der sagenhaften Burg „Vysehrad“, deren Pracht bereits ihr Untergang eingemeißelt ist, weitet sich das Landschafts- zum Weltbild. Ein Fluss tritt über die Ufer der Idylle. Und Böhmen liegt am Meer. Ulrich Amling

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