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Bio, logisch. Haghighians „passing one loop into another“.

© Jens Ziehe

Natascha Sadr Haghighian, Monika Baer: Verdienter Hannah-Höch-Preis für zwei Künstlerinnen

Natascha Sadr Haghighian und Monika Baer bekommen die prestigeträchtige Auszeichnung. Ihre Arbeiten sind im Neuen Berliner Kunstverein zu sehen.

Der Clou lässt sich fast übersehen. Eine Vinyl-LP, die sich auf einem Plattenteller dreht, im ersten Stock des Neuen Berliner Kunstvereins. Doch wer die desinfizierten Kopfhörer aufsetzt, erlebt womöglich eine Premiere: das Tschilpen von Zwergfledermäusen, für menschliche Ohren hörbar gemacht mit einem Ultraschalldetektor.

Die Künstlerin Natascha Sadr Haghighian und der Autor Ashkan Sepahvand haben die Laute im belgischen Mechelen aufgenommen, bei einer Nachtwanderung.

Ungehörtes vernehmbar, Ungesehenes sichtbar zu machen: Diesen Ansatz präsentierte Sadr Haghighian 2019 im Deutschen Pavillon der Venedig-Biennale, als sie mit ihrem Gerüst- und Kulissenaufbau Kapitalströme und Fluchtbewegungen thematisierte und sich den Namen Süder Happelmann gab. Jetzt stellt sie im n.b.k. gemeinsam mit der Berliner Malerin Monika Baer aus. Beide sind am 11. Juni vom Land Berlin ausgezeichnet worden.

Baer hat den mit 25 000 Euro dotierten Hannah-Höch-Preis für ein Lebenswerk erhalten. Über dessen Vergabe unter vorgeschlagenen Künstlern und Künstlerinnen aus Berlin entscheidet die Kunst-Förderkommission der Kulturverwaltung. Natascha Sadr Haghighian gewann den Hannah-Höch-Förderpreis.

Er ist Künstlerinnen in der Mitte ihrer Karriere vorbehalten. Sie müssen sich bewerben, eine zweite Jury entscheidet. Beide Expertenrunden haben eine sehr gute Wahl getroffen, und doch wirkt die Konstellation schief. Denn Baer und Sadr Haghighian, beide Mitte der 60er Jahre geboren, haben jeweils ein herausragendes Werk geschaffen, stellen international aus, waren beide auf der Documenta vertreten. Den Hauptpreis hätten beide verdient.

Feministische Kulturgeschichte

Monika Baer besticht mit punktgenauer Platzierung ihrer präzisen Arbeiten. Im größeren Saal des Erdgeschosses hängen nur sechs kleine Collagen, zusammengesetzt zu einer feministischen Kulturgeschichte. Um sie erkennen zu können, müssen Betrachtende ganz nah herantreten. Im kleineren Saal dagegen hängen vier große Gemälde.

Halb verborgen von Säulen und Wänden, wollen sie trotz ihres beachtlichen Hochformats gefunden werden. Jedes Bild zeigt einen schräg gewachsenen Baumstamm ohne Krone. Mal klebt ein Wassertropfen aus Hartschaum auf der Leinwand, mal fliegt ein Stückchen gemalter Borke durch die in Lachs- und Blautönen betörend flirrende Luft. Wunderschön sieht das aus – und schrecklich verletzlich.

[Chausseestr. 128/129, Eintritt frei, Maskenpflicht, bis 2. August.]

Um Biologie geht es auch bei Sadr Haghighian: um die schwarz-weiß gestreifte Tigermücke, die Dengue- und Zika-Viren übertragen kann. Aus Ostasien ist sie bis Baden-Württemberg gelangt. Die Annahme, der globalisierte Güterverkehr habe ihre Ausbreitung begünstigt, spiegelt sich in der Plastik „passing one loop into another“ (2017). Auf einem Stapel industrieller Garnrollen, Sinnbild für Florenz, wo sich das Insekt extrem vermehrt haben soll, hockt eine große Textilmücke, umgeben von kleinen Flachbildschirmen mit Animationen.

Sie zeigen unter anderem Aufnahmen von Containerschiffen und eine Weltkarte zur Verbreitung des Insekts. An den Wänden hängen digitale Zeichnungen von abstrahierten, fragmentierten Landschaften („study group“, 2020). Sumpfig sehen sie aus – und endzeitlich. Doch das Aufkommen der Tigermücke soll sich mit Zwergfledermäusen begrenzen lassen.

Spannung baut sich auf

Zu differenzieren und die Geschichten hinter der offensichtlichen Geschichte zu finden, davon handelt diese Schau. Sehr sinnlich erfahrbar machen das die Tonaufnahmen aus Belgien. Sadr Haghighian und ihr Begleiter befragen einen Fledermauskenner auch zur jüngeren Geschichte Mechelens.

Spannung baut sich auf: Der Tierexperte spricht lieber über die Fauna, seine Gäste aber wollen mehr über Relikte des Kalten Kriegs und Fremdenfeindlichkeit in der Region erfahren. Ein fesselnder Podcast, ganz analog.

Zwei starke Präsentationen zweier starker Künstlerinnen: Die Preise sind verdient. Die ungleiche Gewichtung jedoch hinterlässt einen seltsamen Eindruck, gerade so, als ob das Renommee einer Natascha Sadr Haghighian nötig sei, um einen Förderpreis zu gewinnen.

Oder als ob sich mit einem multimedialen Werk ohne sofortige Wiederkennungsmerkmale kein Hauptpreis gewinnen ließe. Mehr Flexibilität von Auslober und Jurys wäre hier schön gewesen: Die Vergabekriterien und die Geldsummen setzen zwar Grenzen, doch Auszeichnungen lassen sich teilen, verdoppeln oder ergänzen. Auch mit Kunstpreisen darf man mal spielen.

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